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Sichelzellkrankheiten

ICD-10 D57.-
Stand Oktober 2024
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1Einleitung / Einführung

Die Sichelzellerkrankung gibt es in Deutschland seit den 60-er Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war die Erkrankung in Deutschland, Österreich und der Schweiz noch eine Rarität. Durch die zunehmende Migration hat sich dies in den letzten Jahren verändert und wir sehen mittlerweile ein immer breiter werdendes Spektrum an Patienten mit Hämoglobinerkrankungen.

2Grundlagen

2.1Definition und Basisinformationen

Der Begriff Sichelzellkrankheit umfasst alle Hämoglobinopathien, die durch das Hämoglobin S - allein oder in Kombination mit einer anderen β-Globin-Mutation - verursacht werden. Das HbS bildet dabei, jenseits des Neugeborenenalters, mit mindestens 50% (zumeist weit mehr) den Hauptanteil des roten Blutfarbstoffs. Häufige Phänotypen sind die homozygote HbSS-Sichelzellkrankheit, die compound heterozygoten HbS-β-Thalassämien (HbS-β+ bzw. HbS-β°-Thalassämie) und die HbSC-Krankheit. Seltener sind andere Kombinationsformen wie HbSD, und HbS OArab, HbS Lepore und HbSE. Ca. 30% der Patienten aus dem subsaharischen Afrika haben zusätzlich eine heterozygote (eine Deletion auf nur einem Allel) oder homozygote (je eine Deletion auf beiden Allelen) α+-Thalassämie, die zur Mikrozytose führt. Ca. 17% der Männer aus Zentral-Afrika haben einen G6PD-Mangel. Im mittleren Osten und östlichem Mittelmeerraum beträgt die Häufigkeit der Trägerschaft für α° und α+ Thalassämie 2-3%.

Auf die früher übliche Bezeichnung Sichelzellanämie sollte entsprechend der internationalen Nomenklatur verzichtet werden, da erstens nicht alle Formen der Sichelzellkrankheit mit einer Anämie einhergehen und zweitens nicht die Anämie, sondern die Hämolyse und die durch Gefäßverschluss bedingten Krisen und deren Folgen das Krankheitsgeschehen bei weitem dominieren. Es handelt sich um Multiorgan-Krankheiten.

2.2Epidemiologie

In Deutschland lebten 2023 schätzungsweise mindestens 3000 - 5000 Kinder und Erwachsene mit Sichelzellkrankheiten [1]. Es sind Immigranten aus Zentral- und West-Afrika, den Ländern des östlichen Mittelmeerraumes (Türkei, Libanon, Palästina, Syrien, Süd-Italien, Griechenland, Nord-Afrika), Irak, Arabische Halbinsel, Indien, Nord-und Süd-Amerika sowie der Karibik. In Ländern mit Neugeborenen-Screening erreichen heute 85 bis 90% aller Kinder mit Sichelzellkrankheiten das Erwachsenenalter [2].

2.3Pathogenese

Das pathologische HbS ist das Produkt einer β-Globin-Genmutation, die zum Austausch von Glutaminsäure gegen Valin in der Position 6 der β-Kette führt. Die am schwersten verlaufenden Formen der Sichelzellerkrankung sind die homozygote HbSS- Erkrankung, die HbS-β°-Thalassämie, die HbSD- und die HbSOArab Erkrankung.

Der wichtigste zusätzliche, genetisch bedingte prognostische Faktor ist der HbF-Gehalt, für welchen verschiedene Formen einer Persistenz der fetalen Hb-Produktion ursächlich sein können. Patienten mit einem HbF >10% haben ein geringeres Risiko für Schmerzkrisen, akute Thorax-Syndrome (ATS) bzw. Unterschenkelulzera. Weitere genetische Einflussfaktoren sind die Ko-Existenz einer α−Thalassämie und eines G6PD-Mangels [3].

3Klinisches Bild

Idealerweise wird die Diagnose durch das Neonatal-Screening gestellt, das in Deutschland 2021 eingeführt wurde. Bis dahin wurde die Diagnose meist aufgrund erster Symptome oder zufällig in der Kindheit gestellt. Bei asymptomatischem Krankheitsverlauf oder bei Immigranten aus Ländern mit ungenügendem medizinischem Standard kann sich die Diagnosestellung bis ins Erwachsenenalter verzögern.

Bei nachfolgenden Symptomen oder Befunden muss bei Individuen aus den genannten Risikoländern eine Hb-Analyse zum Ausschluss oder Nachweis einer Sichelzellkrankheit veranlasst werden (siehe Tabelle 1):

Tabelle 1: Indikation zur Durchführung einer Hb-Analyse bei Herkunft aus Risikoländern 
  • bei rezidivierenden Schmerzen im Skelettsystem

  • bei hämolytischer Anämie ungeklärter Ursache:

    • bei normozytärer Anämie (HbSS, andere seltene Kombinationsformen)

    • bei mikrozytärer Anämie (HbS-β-oder HbSS-α-Thalassämie, HbSC-Krankheit, HbSLepore),

  • bei Schocksymptomatik und ausgeprägter Splenomegalie

  • bei aseptischen Nekrosen von Hüft - bzw. Humeruskopf

  • bei Blutung in das ZNS oder bei Infarkt

  • geringe Anämie oder normaler Hb-Wert und Auftreten von Sehstörungen / Hörminderung (HbSC)

Bei Kindern ist der klinische Verlauf in erster Linie neben der chronischen Hämolyse durch folgende akute Komplikationen charakterisiert: rezidivierende Schmerzkrisen, akutes Thorax-Syndrom (ATS), Milzsequestration (bei HbSS nur bis zum 6. bis 8. Lebensjahr), Pneumokokken-Sepsis und -Meningitis, aplastische Krise bei Parvovirus B19-Infektion, ZNS-Infarkte, paralytischer Ileus durch Mesenterial-Infarkte (sog. Girdle-Syndrom). (s. a. AWMF-Leitlinie Sichelzellerkrankung Kinder)

Bei Erwachsenen stehen mit zunehmendem Lebensalter zusätzlich zu akuten Ereignissen chronische Organschäden im Vordergrund [4]. Milzsequestrationen können, wenn auch selten, bei compound heterozygoten Sichelzellpatienten noch bis ins Erwachsenenalter vorkommen. Das ATS hat im Erwachsenenalter eine hohe Mortalität [5]. Akute ZNS-Ereignisse manifestieren sich bei Erwachsenen meist als intrazerebrale Blutungen, selten als Infarkte. Priapismus ist ein Problem vor allem bei Jugendlichen und Erwachsenen. Auf Grund der funktionellen Asplenie, die sich früher (HbSS; HbS β° Thalassämie, HbSD, HbSOArab) oder später (HbSC, HbS β+ Thalassämie, HbSLepore, HbSE) bei allen Sichelzellpatienten einstellt, besteht lebenslang ein hohes Risiko für das Auftreten einer Sepsis.

Die wichtigsten chronischen Organveränderungen sind in Tabelle 2 dargestellt.

Tabelle 2: Häufigste chronische Organveränderungen bei der Sichelzellkrankheit  
  • chronische Glomerulonephritis/Sklerose und Nierenversagen

  • chronische pulmonale Insuffizienz mit pulmonaler Hypertonie

  • aseptische Knochennekrosen (Hüftkopf, Humeruskopf)

  • Osteopenie/Osteoporose

  • Deckplatten-Einbrüche der Wirbelkörper

  • proliferative Retinopathie (vor allem bei HbSC)

  • Hörverlust (HbSC)

  • Unterschenkel-Ulzera

  • Thromboembolien

  • stumme ZNS-Infarkte, die zu neuro-psychiatrischen Auffälligkeiten führen können

  • Knochenmarkinsuffizienz nach ausgedehnten Marknekrosen

  • Sichelzell-Hepatopathie

  • Diastolische Dysfunktion

  • Myokardfibrose

  • evtl. Eisenüberladung und endokrine Ausfälle bei Patienten auf chronischem Transfusionsprogramm ohne Chelattherapie

4Diagnose

Beispiele der mikroskopischen Diagnostik finden Sie unter eLearning Curriculum Hämatologie (eLCH), https://ehaematology.com/.

4.1Primärdiagnostik

Tabelle 3: Untersuchungsprogramm zur Primär- bzw. Nachweisdiagnostik 
  • Blutbild und Charakterisierung des Hämoglobins
    Mikroskopisches Differenzialblutbild, Erythrozytenindices und Retikulozyten
    Hämoglobinanalyse in einem für diese Diagnostik ausgewiesenen Labor

  • Molekulargenetische Untersuchungen
    immer nach vorausgegangener Transfusion in den letzten Monaten
    bei Verdacht auf Kombinationsformen von HbS mit β - oder α-Thalassämien
    (der Verdacht resultiert aus einer nicht durch einen Eisenmangel bedingten Mikrozytose/Hypochromie)
    immer im Rahmen der Pränataldiagnostik

  • Untersuchung der Familienangehörigen

Eine Sichelzellkrankheit ist ausgeschlossen bei normaler Zusammensetzung der Hämoglobine. Heterozygote HbS-Anlageträger (HbS 35-45%) haben keine Blutbildveränderungen und keine klinischen Symptome mit folgenden Ausnahmen:

  • Bei bis zu 4% der HbS Anomalieträger können im Laufe des Lebens schmerzlose Hämaturien durch Papillennekrosen auftreten.

  • Bei starker körperlicher Anstrengung oder Dehydrierung in Höhen >2500 m kann es bei HbS-Trägern zu schmerzhaften Milzinfarkten kommen.

  • Das sehr seltene renale medulläre Karzinom wird überwiegend bei männlichen HbS-Heterozygoten beobachtet.

Hat ein HbS-Träger einen HbS-Anteil <35%, liegt gleichzeitig entweder ein Eisenmangel oder eine α+ Thalassämie vor. Die größte Bedeutung hat die HbS-Heterozygotie für die Nachkommen, wenn beide Partner Träger einer β-Globin-Mutation sind.

4.2Diagnostik im Verlauf

Sichelzellpatienten müssen in regelmäßigen Abständen (Intervall je nach Schwere der Krankheitsmanifestationen, aber mindestens alle 6 Monate) routinemäßig ambulant untersucht werden (siehe Tabelle 4). Außerdem ist es zur Einschätzung der Schwere der Schmerzkrise eines Patienten sehr hilfreich, ihn auch bei Beschwerdefreiheit zu kennen.

Tabelle 4: Diagnostikprogramm im Verlauf 

Alle 3 Monate:

  • bei Patienten auf einer stabilen Hydroxycarbamid (HU)-Dosis Blutbild (Differenzialblutbild, Retikulozyten) zum Ausschluss einer Myelosuppression

Halbjährlich

  • Anamnese, körperliche Untersuchung
    (insbesondere orientiert an möglichen Organschäden und Vorbefunden)

  • Blutbild mit Retikulozyten, Kreatinin, Harnstoff, Leberwerte, direktes Bilirubin

  • Urinstatus

  • wenn Protein beim Stäbchentest +, dann Bestimmung Eiweiß/Kreatinin-Quotient aus
    dem Spontanurin und 24 Std.-Urin zur Protein-Quantifizierung

  • Blutdruck, O2-Sättigung

Jährlich

  • US Abdomen (Nachweis/Ausschluss Gallensteine)

  • bei Hüftbeschwerden MRT ohne KM
    (auch bei leichten chronischen oder rezidivierenden Schmerzen in Knien, Leisten, Gesäß)

  • EKG

  • Doppler-Echokardiographie (Pulmonale Hypertonie, diastolische Dysfunktion?)

  • wenn Doppler-Echo pathologisch (TRV >2,9 m/s) Rechtsherz-Katheter-Untersuchung
    zum Ausschluss / Nachweis einer pulmonalen Hypertonie

  • Retina-Untersuchung auf proliferative Retinopathie
    (besonders häufig bei HbSC-Patienten)

  • Vitamin D-Spiegel

  • Angebot der HU-Therapie, wenn noch nicht begonnen (HbSS, HbSβ°Thal, HbSD, HbSOArab)

Vor der ersten Transfusion

  • Erstbestimmung des genauen Status der Blutgruppeneigenschaften:
    AB0, RhD, Rhesus-Mosaik, K,k, Kp(a), Kp(b), Fy(a),Fy(b), Jk(a), Jk(b), M, N, S, s, Lu(a), Lu(b), Le(a), Le(b).
    (Die Bestimmung dient der Risikoabschätzung für die Entwicklung von Allo-Antikörpern und zur Ermöglichung der präventiven Auswahl kompatibler Erythrozytenkonzentrate in den klinisch besonders relevanten Rh-, K, Fy- und Jk-Systemen).

5Therapie

Die Therapie der Sichelzellkrankheiten ist einem ständigen Wandel unterworfen. Die Betreuung von Sichelzellpatienten macht es erforderlich, zusätzlich zu den Empfehlungen dieser Leitlinie aktuelle internationale Empfehlungen und Ergebnisse klinischer Studien zu berücksichtigen. Regelmäßig aktualisierte Informationen finden sich unter anderem bei den in Kapitel 14 angegebenen Quellen).

5.1Basismaßnahmen

5.1.1Lebensführung

Trotz Erkrankung sollte für Jugendliche und junge Erwachsene eine möglichst gute Schul- und Berufsausbildung angestrebt werden. Berufe mit schwerer körperlicher Belastung müssen gemieden werden.

Sichelzellpatienten sollten ermuntert werden, im Rahmen ihrer individuellen Leistungsfähigkeit Sport zu treiben. Kälteexposition (Schwimmen in Wasser mit <23 °C Temperatur, unzureichende Bekleidung im Winter) und Überanstrengung können Schmerzkrisen auslösen. Jeder muss seine Grenzen kennen und einhalten.

Übergewicht muss vermieden werden, da es für Schwachstellen wie Hüftköpfe eine zusätzliche Belastung darstellt. Es gibt keine Nahrungsmittel, die speziell für Sichelzellpatienten sinnvoll sind.

Der Flüssigkeitsbedarf ist wegen der eingeschränkten Konzentrationsfähigkeit der Niere und der damit verbundenen größeren Urinmenge erhöht und sollte bei ca. 2,5 l/m2 pro Tag liegen. Er sollte durch Wasser (ungesüßte Getränke) gedeckt werden. Alkoholische Getränke sollten vermieden werden.

Rauchen führt nicht nur zu vermehrten Schmerzkrisen, es verstärkt auch die durch die Sichelzellkrankheit bedingten Gefäßschäden.

Vor einer Familiengründung ist dringend zu empfehlen, den Partner auf Trägerschaft anderer Hämoglobin-Anomalien (HbS, HbD, HbOArab, β -Thalassämie) zu untersuchen, um eine genetische Beratung und evtl. pränatale Diagnostik anbieten zu können.

Alle Patienten sollten einen Notfallausweis bei sich führen (kann unter https://www.sichelzellkrankheit.info/ bezogen werden)

5.1.2Infektionsprophylaxe und Impfungen

Alle von der STIKO (Ständige Impfkommission) empfohlenen Impfungen sollten durchgeführt werden https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Empfehlungen/Aktuelles/Impfkalender.html

  • Zusätzlich jährliche Grippe-Impfung (Influenza-Viren machen die Schleimhäute „durchlässig“ für Pneumokokken).

  • Pneumokokken: Für Sichelzellpatienten, die in der Vergangenheit eine sequentielle Impfung (PCV13 + PPSV23) erhalten haben, wird mit einem Mindestabstand von 6 Jahren nach der PPSV23-Impfung eine Impfung mit PCV20 empfohlen. PCV20 ist ab > 18 Jahre zugelassen.

  • Ein Asplenie-Ausweis sollte ausgehändigt werden (https://asplenie-net.org/)

5.2Medikamentöse Therapie

5.2.1Hydroxycarbamid

Hydroxycarbamid (HU) ist ein Zytostatikum, das die Ribonukleotid-Reduktase hemmt und die Synthese von HbF steigert. Seit den 90-er Jahren wurde es zuerst bei Sichelzellpatienten mit häufigen und schweren Schmerzkrisen und nach dem ersten ATS eingesetzt. Seit 2014 wird es in vielen Leitlinien allen Patienten mit HbSS, HbS-β° -Thalassämie, HbSD und HbSOArab ab dem 9. Lebensmonat empfohlen. Es reduziert bei ca. 70% der Patienten Schmerzkrisen und ATS und wirkt sich außerdem positiv auf die Nierenfunktion aus [6].

Der genaue Wirkungsmechanismus von HU bei Sichelzellerkrankungen ist noch nicht geklärt. Einige bekannte Mechanismen sind neben der Stimulation der Synthese von HbF, die Reduktion der Adhäsionsmoleküle auf den Retikulozyten, die Verbesserung der Erythrozyten-Hydrierung (Anstieg des MCV unter HU) und die Steigerung der NO-Produktion.

Durchführung der Therapie mit Hydroxyurea (HU):

Therapieeinleitung
Kinder: 20 mg/kg Körpergewicht (KG) pro Tag
Erwachsene: 15 mg/kg KG pro Tag.
HU sollte in einer einzigen Tagesdosis verabreicht werden.

Dosissteigerung
Die maximale Dosis von 35 mg/kg pro Tag sollte in Steigerungsschritten von ca. 5 mg/kg alle 6 bis 8 Wochen angestrebt werden. Diskutiert wird auch das Aufdosieren bis zur maximal tolerierten Dosis, wobei es hierzu noch keine ausreichenden Daten gibt.

Nebenwirkungen
Nebenwirkungen sind Myelosuppression, mögliche Azoospermie (Kryokonservierung bei postpubertären Patienten empfohlen), Hypomagnesiämie, Haut-/Nagelveränderungen, ggf. Anstieg des Hämoglobins auf Werte >10 g/dl mit Anstieg der Viskosität und evtl. Notwendigkeit von Aderlässen. Bei der empfohlenen Dosierung wurde keine teratogene bzw. onkogene Wirkung beobachtet [7].

CAVE: MCV-Anstieg ist gewünscht und sollte nicht zu einer Dosisreduktion führen.

5.3Transfusionen

5.3.1Auswahl der Blutprodukte

Alloimmunisierungen, auch nach nur wenigen Transfusionen, sind bei Sichelzellpatienten überdurchschnittlich häufig (20 bis 80%) wegen des großen Unterschiedes in der Verteilung der Blutgruppen-Merkmale in verschiedenen ethnischen Gruppen [8].

Wenn möglich, sollten bereits vor der ersten EK-Gabe die Antigen-Systeme RhD, Rhesus-Mosaik, K,k, Kp(a), Kp(b), Fy(a),Fy(b), Jk(a), Jk(b), M, N, S, s, Lu(a), Lu(b), Le(a), Le(b) mit konventionellen serologischen Verfahren typisiert werden. Nach hochfrequenten EK-Gaben ohne vorherige Antigenaustestung des Patienten oder bei nur schwer mit kompatiblen EKs zu versorgenden Antigenkonstellationen, z.B. Fy(a-), Fy(b-), wie sie häufig bei Personen mit afrikanischer Herkunft zu finden sind, können ggf. molekulargenetische Verfahren helfen, verträgliche Blutprodukte zu finden. Darüber hinaus wird diskutiert, ob bei allen Sichelzellpatienten, die regelmäßig Transfusionen benötigen, eine molekulargenetische Typisierung sinnvoll ist [9].

5.3.2Hauptindikationen für Transfusionen bzw. Austauschtransfusionen

Transfusionen sollten nur bei strenger Indikation gegeben werden. Weder die chronisch niedrigen Hb-Werte bei den homozygoten Sichelzellpatienten (6 bis 8 g/dl) noch Schmerzkrisen sind eine Indikation zur Transfusion.

Generell ist die sogenannte einfache Transfusion „On-top oder top-up“ Transfusion von der Austauschtransfusion zu unterscheiden.

Die einfache Transfusion dient der Verbesserung der Sauerstoffkapazität des Blutes. Sie ist jedoch limitiert durch das gleichzeitige Anheben des Hb-Wertes, einhergehend mit einer Erhöhung der Viskosität. Ein Hämatokrit von 30% (Hb 10 g/dl) sollte nicht überschritten werden. Dringend muss davor gewarnt werden, das Hämoglobin von Sichelzellpatienten auf "Normalwerte" anzuheben. Es entsteht das sog. Hyperviskositäts-Syndrom, gekennzeichnet durch Kopfschmerzen, Blutdruckanstieg, Krampfanfälle, manchmal im MRT zu dokumentierende posteriore Leukenzephalopathie, evtl. Hirnblutung und Tod.

Die Austauschtransfusion hingegen ist das wesentlich effektivere Verfahren, da es hier neben der Verbesserung der Sauerstoffkapazität zu einer raschen und effektiven Absenkung des HbS-Anteils relativ zum HbA-Anteil kommt ohne Erhöhung der Viskosität und damit zu einer Reduktion der vaso-occlusiven Komplikationen.

Hieraus ergeben sich die nachfolgenden Indikationen [1011]:

Tabelle 5: Akute Indikationen für Transfusionen  

Akute Indikationen

Einfache Transfusion:

 

Austausch-Transfusion:

Ziel-HbS <30%*

Symptomatische Anämie

  • Milz/Leber Sequestration

  • Aplastisch (PV-B19)

  • Schwere Schmerzkrise mit symptomatischer Anämie

X

 

Akuter Apoplex (ischämisch oder Blutung)

X

Akutes Thoraxsyndrom

Leichtgradig

Schwergradig

 

X

 

 

X

Multiorganversagen

X

Schwere Sepsis

X

Mesenterial/Girdle Syndrom

X

Akute intrahepatischee Cholestase

X

*in Abhängigkeit vom klinischen Ansprechen kann eine partielle/modifizierte Austauschtransfusion ohne vollständige Absenkung des HbS-Anteils auf < 30% ausreichend sein (s. Kapitel 5.3.3)

Tabelle 6: Langfristige Indikationen für Transfusionen Langfristige Indikationen* 

Einfache Transfusion

 

Chronisches Transfusionsprogramm:

Ziel-HbS < 30%

Primäre oder sekundäre Schlaganfallprävention

X

Wiederholte ATS trotz Hydroxyurea

X

Wiederholte Schmerzkrisen trotz Hydroxyurea – oder bei Intoleranz von Hydroxyurea

X

HbS-Absenkung auf 40-50% kann ausreichend sein

Intraktable Beinulcera

X

HbS-Absenkung auf 40-50% kann ausreichend sein

Wiederholte intrahepatische Cholestase

Sichelzell-Hepatopathie

X

X

progrediente Endorganschäden

  • Kardial

  • Pulmonal

  • renal

X

(häufig bei zunehmender Anämie)

Sonderindikationen

Komplikationsreiche Schwangerschaft

überwiegend Einfachtransfusionen ausreichend,

selten Umstellung auf ein chronisches Austauschprogramm

* Evidenzgrad häufig moderat bis gering

Gleichzeitig müssen die mit den Verfahren verbundenen Limitationen beachtet werden:

Tabelle 7: Vergleich der einzelnen Transfusions-Modalitäten  

Einfache Transfusion

Manuelle Austauschtransfusion

Maschinelle Austauschtransfusion

Durchführung einfach

Kenntnis des Verfahrens erforderlich

nur an Kliniken mit Apherese-Einheit verfügbar

Risiko der Hyperviskosität

bei korrekter Durchführung geringes Risiko einer Hyperviskosität

geringes Risiko der Hyperviskosität

Risiko der Eisenüberladung bei chronischer Transfusion

mittleres Risiko einer Eisenüberladung bei chronischer Transfusion

geringes Risiko einer Eisenüberladung bei chronischer Transfusion

schlechte HbS-Kontrolle

mittlere HbS-Kontrolle, da meist nur begrenzte Blutmengen ausgetauscht werden können

gute HbS-Kontrolle

bei Ziel einer dauerhaften HbS-Absenkung häufige Wiederholungen mit vorherigem Aderlass erforderlich

Wiederholung häufiger,

(alle 3-4 Wochen)

Wiederholung seltener

(alle 6-8 Wochen)

über normale Venenverweilkanüle

häufig nicht über periphere Venen möglich / bzw. Venensituation limitierend

in der Regel zentraler Zugang erforderlich (Leisten-Sheldon) – oder apharese-tauglicher Port, hier jedoch sehr häufig thromboembolische Komplikationen

zeitaufwendig durch häufige Termine

zeitaufwendig (150-300 Min.)

zeitsparend (90-120 min)
und für den Patienten schonender

in der Nutzen-/Risiko-Abwägung zu bevorzugendes Verfahren

abrechenbar

nur als Transfusion abrechenbar

nur als Transfusion abrechenbar,

5.3.3Durchführung einer partiellen / modifizierten Austauschtransfusion

Bei einer partiellen Austauchtransfusion werden zwei Drittel des Patientenblutvolumens ausgetauscht. Hiervon ist die komplette Austauschtransfusion zu unterscheiden, bei der das zweifache Blutvolumen ersetzt wird.

75% des Blutvolumens des Patienten (d.h. 75 ml / kg KG x 0,75) müssen entfernt und durch die gleiche Menge Erythrozyten-Konzentrat + physiologische NaCl (im Verhältnis 2:1) ersetzt werden. Diese Verdünnung ist erforderlich, da der Hämatokritwert eines Erythrozytenkonzentrates zwischen 0,5 bis 0,7 beträgt und damit deutlich höher ist als der Hämatokritwert des Patienten.

Sollte der Patient in der Vergangenheit bereits wiederholt Transfusionen erhalten haben, kann der HbS-Anteil vor Transfusion bereits reduziert sein, entsprechend ist eine geringe Menge an Blutvolumen auszutauschen.

Beispiel: für den partiellen Austausch eines 50 kg schweren Patienten müssen 2800 ml Blut entfernt und mit 1865 ml Erythrozyten-Konzentrat + 935 ml physiologischer Kochsalzlösung ersetzt werden (es ist nicht notwendig, FFP zu verwenden). Hierbei sollten beim manuellen Austausch nicht mehr als 4 Erythrozytenkonzentrate in einer Sitzung ausgetauscht werden. Um eine HbS-Konzentration von <30% zu erreichen, kann es notwendig sein, den partiellen Austausch am nächsten Tag zu wiederholen.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, welche Höhe des Hämoglobin-Wertes beim Start der manuellen Austauschtransfusion vorliegt:

Bei einem Hb-Wert von >8 g/dl kann direkt wie in der nachfolgenden Anleitung aufgeführt mit dem Austausch begonnen werden

Liegt der Hb-Wert <8 g/dl muss zunächst ein Erythrozytenkonzentrat verabreicht werden, bevor mit dem Aderlass begonnen werden kann.

Tabelle 8: Durchführung manuelle Austauschtransfusion  

Vorbereitung:

Anlage von 2 großlumigen peripheren Venenkanülen, während des Austausches muss alle 15 Minuten Puls, RR und O2-Sättigung gemessen werden

Bestimmung des Ausgangs-HbS-Wertes

Infusion von 250-500 ml NaCl 0,9% über 15-30 Minuten

Aderlass von 450 ml Blut in 15-30 Minuten

Transfusion des 1. Erythrozytenkonzentrates + 250 ml NaCl 0,9%

Aderlass von 450 ml Blut

Transfusion des 2. Erythrozytenkonzentrates + 250 ml NaCl 0,9%

Aderlass 450 ml Blut

Transfusion des 3. Erythrozytenkonzentrates + 250 ml NaCl 0,9%

Aderlass 450 ml Blut

Transfusion des 4. Erythrozytenkonzentrates + 250 ml NaCl 0,9%

Nachbereitung:

Patient muss für mindestens 30 Minuten nach dem Austausch liegen bleiben und die Vitalzeichen müssen weiter überwacht werden.

Blutentnahme 30 min nach Ende des Austausches:

BB, Hb-Elektrophorese, Elektrolyte, Nierenwerte, Magnesium

Nach einem Austausch von 4 Erythrozytenkonzentraten sollte möglichst eine Pause von 4 Stunden bis zur Fortsetzung der Austauschtransfusion gemacht werden!

Zielwerte:

Der Ziel-Hb-Wert sollte in etwa dem Steady-State-Hb-Wert entsprechen.

Bei Anstieg von mehr als 2 g/dl über dem Steady-State-Hb-Wert oder bei Werten >10 g/dl – nochmals Aderlass

Bei Abfall von mehr als 2 g/dl oder Werten < 6 g/dl – Transfusion

5.3.4Komplikationen

5.3.4.1Hämolytische Transfusionsreaktion

Wenn der Hb-Wert bei transfundierten Patienten innerhalb weniger Tage nach der Transfusion unter den Wert vor der Transfusion absinkt, bei Hämoglobinurie, fehlender Retikulozytose, massivem LDH-Anstieg und Schmerzen, ähnlich einer Schmerzkrise, muss an das lebensbedrohliche Krankheitsbild der verzögerten hämolytischen Transfusionsreaktion gedacht werden [12]. Diese tritt vor allem bei bereits alloimmunisierten Patienten auf und ist charakterisiert durch die Zerstörung sowohl der transfundierten als auch der eigenen Erythrozyten. Der Coombs-Test kann, muss aber nicht positiv sein. Es darf auf keinen Fall erneut transfundiert werden. Zur Therapie werden empfohlen: Immunglobuline intravenös (IVIG), Corticosteroide, Rituximab, EPO, Eculizumab. Bei dieser Komplikation sollten Experten aus der Transfusionsmedizin konsultiert werden.

5.3.4.2Eisenüberladung

Sichelzellpatienten haben keine ineffiziente Erythropoese. Das bedeutet, dass eine Eisenüberladung nur durch Transfusionen entsteht. Diese wird genauso behandelt wie die Eisenüberladung bei Thalassämie-Patienten (s. Onkopedia-Leitlinie Thalassämie und AWMF-Leitlinie 025-029 Diagnostik und Therapie der sekundären Eisenüberladung bei Patienten mit angeborenen Anämien).

5.4Aderlässe

Mehr als 90% aller erwachsenen Patienten mit der Sichelzellkrankheit HbSC haben Hb-Werte >10 g/dl (oft >12 g/dl) und deshalb eine höhere Blut-Viskosität, die zu häufigen Schmerzkrisen, Vertigo und/oder Hörsturz/Schwerhörigkeit führen kann [13]. Bei Patienten mit diesen Manifestationen und einem Hb >11 g/dl empfehlen sich Aderlässe, um den Hb auf <10 g/dl zu senken. HU ist bei der HbSC-Krankheit nur in sehr seltenen Fällen indiziert. Vor längeren (>6 Std.) Flugreisen (trockene Luft im Flugzeug erhöht die Blut-Viskosität noch mehr) kann es ebenfalls hilfreich sein bei HbSC-Patienten mit Hb-Werten >11 g/dl einen Aderlass durchzuführen, um Schmerzkrisen beim oder nach dem Flug zu vermeiden, auch wenn dieses Vorgehen nicht im Rahmen von Studien überprüft wurde.

Bei allen Sichelzellpatienten mit Schmerzkrisen, deren Hb >10 g/dl ist, sollte ebenfalls ein Aderlass zur Verringerung der Viskosität durchgeführt werden. Das schließt auch HbSS- bzw. HbSβ -Thalassämie-Patienten unter HU ein, bei denen der Hb-Wert auf Werte >10 g/dl ansteigen und zu den oben genannten Symptomen führen kann.

5.5Neue Therapieansätze - experimentelle Therapien

5.5.1Neue medikamentöse Ansätze

Voxelotor erhöht die O2 Affinität des HbS und verringert dadurch die Hämolyse [14]. Aufgrund neuerer Daten aus zwei registerbasierten Studien, die auf ein potenzielles Risiko vasookklusiver Krisen deuten, sowie aufgrund tödlicher Ereignisse unter Voxelotor in klinischen Studien wurde die Zulassung von Voxelotor von der Europäischen Union ausgesetzt.
Die Zulassung für Crizanlizumab wurde in Europa wieder zurückgenommen.
Pyruvatkinase-Aktivatoren befinden sich derzeit in klinischer Prüfung.

5.5.2Kurative Therapieansätze – Stammzelltransplantation

Nachweislich kann keine der konventionellen Therapiemaßnahmen die chronischen Organschäden verhindern, so dass die Lebensqualität sowie die Lebenserwartung langfristig nicht signifikant verbessert werden kann. Daher ist die Stammzelltransplantation der einzige nachweislich kurative Therapieansatz. Bei Vorhandensein eines hochauflösenden HLA-identischen Familienspender ist eine absolute Transplantationsindikation unabhängig vom Alter gegeben. Insbesondere nach dem 14. Bis 15. Lebensjahr steigen die unerwünschten Nebenwirkungen, wie die transplantationsassoziierte Mortalität und die Inzidenz der chronischen Graft-versus-Host-Disease. Die Transplantations-Ergebnisse mit einem HLA-identen Fremdspender hingegen entsprechen nicht denen eines Familienspenders und sollten daher kritisch hinterfragt werden. Da nur für wenige Patienten (<20%) ein HLA-identischer Geschwisterspender oder ein Fremdspender gefunden werden kann, wird in den letzten Jahren zunehmend die haploidentische Transplantation (Eltern, Geschwister und leibliche Kinder) untersucht. In der Hand von erfahrenen Transplanteuren in dafür ausgewiesenen Zentren kann dieses Verfahren, durchaus erfolgreich sein [1618].

Eine prospektive internationale multizentrische Studie, an der auch einige deutscher Zentren beteiligt sind, untersucht derzeit die Vergleichbarkeit einer Transplantation von einem Geschwisterspender mit einer a/β T-Zell-depletierten haploidenten Stammzelltransplantation (EudraCT: 2018-002652-33). Grundsätzlich ist es immer sinnvoll ein erfahrenes Transplantationszentrum frühzeitig in eine gemeinsame Betreuung dieser komplexen Patienten einzubinden, um den richtigen Zeitpunkt für einen kurativen Ansatz zu definieren und um entsprechende Maßnahmen rechtzeitig einzuleiten (z.B. fertilitätserhaltende Maßnahmen).

5.5.3Gentherapie und Geneditierung

Bis vor Kurzem waren mehrere gentherapeutische Ansätze in Europa in Erprobung. Die viral basierte Gentherapie mit der über einen lentiviralen Vektor ein funktionsfähiges β-Globin-Gen in die Stammzellen eingeschleust wird, wurde vom europäischen Markt zurückgezogen [19].

Eine CRISPR/Cas9-basierte Geneditierung enthemmt durch einen gezielten knock-out (BCL-11a) die Blockade der Transkription der Gamma-Kette und steigert damit die HbF-Produktion [2021]. Diese Therapie wurde kürzlich von der EMA zugelassen und wird ab Mitte Januar 2025 in ausgewählten deutschen Zentren zur Verfügung stehen.

5.6Akute Schmerzkrise

Schmerzkrisen

Schmerzkrisen charakterisieren die Sichelzellkrankheit. Sie sind der Grund für 90% der stationären Aufnahmen dieser Patienten. Allerdings werden 90% aller Schmerzepisoden zu Hause behandelt.

Schmerzkrisen sind das Resultat von Gefäßverschlüssen im blutbildenden Knochenmark, die durch eine komplexe Interaktion von Adhäsion der verformten Erythrozyten, aber auch der Granulozyten und Thrombozyten an das Endothel und daraus resultierender Endothel-Läsion mit Inflammation entstehen. Die resultierende ischämische Reperfusionsläsion und der oxydative Stress unterhalten die Schmerzen. Zur Analgesie bei Schmerzkrisen hat sich das 3-Stufen-Schema der WHO bewährt [22].

Tabelle 9: Schmerztherapie bei leichten Schmerzen  

Einzeldosis

Applikation

Maximale Tagesdosis

Paracetamol

1 g

oral oder i.v.

4 g
bei Gewicht <50 kg (maximal 3 g)

Metamizol

500-1000 mg

oral

4 g

Ibuprofen

400-800 mg

oral

1600-2400 mg

(Kontrollen der Nierenfunktion)

 

Tabelle 10: Schmerztherapie bei mittelschweren Schmerzen  

Einzeldosis

Applikation

Maximale Tagesdosis

Tramadol

50-100 mg

oral

400 mg

 

Tabelle 11: Schmerztherapie bei starken Schmerzen  

Ein in Tabelle 9 genanntes Analgetikum ergänzt um:

Morphinum hydrochloricum

Initialer Bolus 0,1 - 0,15 mg/kg KG i.v. oder s.c.
(Beurteilung nach 10 bis 15 Minuten, ggf. ein bis zwei Mal im Abstand von 15 bis 20 Minuten wiederholen),
danach Dauerinfusion von 0,03 mg/kg/Std.
bei Bedarf Steigerung bis zu 0,05 mg/kg/Std).
oder PCA (Patienten-kontrollierte Analgesie)

 

Jede Schmerzkrise führt zur CRP-Erhöhung. Ohne gleichzeitiges Fieber >38,5°C ist ein isolierter CRP-Anstieg kein Grund für eine antibiotische Therapie. Transfusionen verschlechtern die Viskosität und sind kontraindiziert bei Schmerzkrisen, es sei denn es besteht eine gleichzeitige, symptomatische Anämie. Eine Sauerstoffgabe ist nur bei Bedarf indiziert.

Grundregeln sind bei der Behandlung von Schmerzkrisen:

  • Die Schmerzen als ernstzunehmende Komplikation einstufen.

  • so früh wie möglich mit der analgetischen Behandlung beginnen (vor Vorliegen der Laborwerte)

  • keine Retard-Präparate bei akuten Schmerzen

  • bei parenteraler Gabe von Opiaten immer begleitend Atemübungen ggf. mit Hilfsgeräten (Triflow) alle 2 Stunden mit je 10 Hüben, um eine Hypoventilation zu verhindern,

  • Flüssigkeit, wenn möglich oral, nie mehr als 1 1/2 x Erhaltungsbedarf,
    bei pulmonaler Symptomatik, sofortige Reduktion der Flüssigkeit auf maximal Erhaltung; Röntgenbild der Lunge (mit der Frage ATS)

  • Bilanzierung, tägl. Kontrolle von Gewicht und Kreatinin, Überwachung mit Oxymeter

  • Sauerstoffgabe bei einer Sauerstoff-Sättigung <95%

  • bei Sauerstoffgabe O2-Messung alle 6-8 Stunden jeweils nach einer 15-minütigen Unterbrechung der Sauerstoffgabe (um einen Abfall der Sauerstoffsättigung nicht zu übersehen)

  • wenn bei Schmerzkrise Hb >10 g/dl, Aderlass von 5-10 ml/kg um die Viskosität zu senken

  • Opiate, wenn verabreicht, ausschleichen wenn trotz adäquater Analgesie die Schmerzkrise nicht beherrscht werden kann, kann in Einzelfällen durch niedrig-dosiertes Ketanest (0,2 µg/kg/Kg/h) eine Schmerzkontrolle erreicht werden [23].

  • auch kann in solchen Fällen eine partielle Austauschtransfusion durchgeführt werden

5.7Akutes Thorax-Syndrom (ATS)

Das ATS ist eine pulmonale Komplikation bei Sichelzellpatienten, welche die häufigste Todesursache darstellt [5]. Es ist gekennzeichnet durch meist beidseitige Thoraxschmerzen, Fieber, Tachypnoe, Hypoxie, Husten und eine neu aufgetretene Verschattung im Röntgenbild, häufig sichtbar erst nach dem Auftreten respiratorischer Symptome.

Auslöser des ATS bei erwachsenen Patienten sind sehr häufig Hypoventilation und/oder Überwässerung. Diese sind bei einer nicht fachkundigen Behandlung einer Schmerzkrise häufiger als Infekte. Liegt ursächlich ein Infekt zugrunde, wird dieser überwiegend durch Viren oder Mycoplasmen ausgelöst, seltener durch andere Bakterien. Auch Fettembolien aus dem Knochenmark während einer Schmerzkrise werden diskutiert. Die erwähnten Auslöser bewirken eine Gefäßreaktion mit Sequestration von Blut in regionalen Lungenbezirken. Bei frühzeitiger intensiver Therapie (z.B. Transfusion bzw. Austauschtransfusion) sind klinische Zeichen und radiologische Veränderungen innerhalb weniger Stunden rückläufig [24]. Eine verzögerte Therapie erhöht das Risiko von fortschreitenden pulmonalen Infarkten mit begleitender respiratorischer Insuffizienz bis zum Multiorganversagen.

Die Prävention des ATS hat einen hohen Stellenwert in der Betreuung von Sichelzellpatienten und erfordert eine begleitende Überwachung der Atmung zur Vermeidung von Hypoventilation sowie eine strikte Kontrolle der Flüssigkeitszufuhr [25]. Nach einem ATS ist HU zur Prävention weiterer Ereignisse indiziert, falls diese Therapie noch nicht eingesetzt wird.

Diagnose

Bei Thoraxschmerzen bzw. Tachypnoe, Dyspnoe, Fieber oder Husten sollte zunächst immer an das ATS gedacht werden. Typische Zeichen im Röntgenbild des Thorax, welche in der Anfangsphase noch fehlen können, sind Infiltrate im Bereich der Unterlappen und Pleuraergüsse. Auf ein CT des Thorax kann in der Regel als zusätzliche Diagnostik verzichtet werden. Sollte dennoch der Verdacht auf eine Lungenembolie bestehen, muss bei der Interpretation von CT-Thorax-Bildern berücksichtigt werden, dass vor allem subsegmentale oder kleine Fülldefekte durch die Sichelzellen selber bedingt sein können und keiner thrombotischen Embolie entsprechen.

D-Dimere sind ebenfalls nur begrenzt hilfreich, da sie bei Sichelzellpatienten in aller Regel erhöht sind (siehe auch Kapitel 6.3.). Erhöhte CRP-Werte ohne Fieber finden sich typischerweise beim ATS und bedürfen keiner weiteren Abklärung.

Überwachung und Therapie

  • Frühzeitig Verlegung auf Intensivstation!

  • O2 Gabe (Sauerstoffsättigung >95%) unter Monitorüberwachung

  • 4- bis 6-stündlich Messung des O2-Wertes (bei Raumluft)

  • Flüssigkeitsrestriktion auf maximal 1,5 l/m2 (Erwachsene ca. 2 bis 2,5 l/Tag);

  • Bilanzierung, tägliche Bestimmung von Kreatinin und Leberwerten

  • Antibiotika bei Infekt: Amoxicillin/Clavulansäure bzw. Cephalosporin plus Macrolid

  • wenn Hb <7 g/dl einfache Transfusion

  • wenn Hb >7g/dl bzw. bei fulminantem Verlauf Austauschtransfusion

5.8Spleno-/Hepato-/Biliäre Komplikationen

5.8.1Sequestrationssyndrome

Bei einer Milzsequestration, die bei Patienten mit HbSC, HbSβ -Thalassämie und HbS Lepore bis ins Erwachsenenalter vorkommen kann, wird ein Teil oder auch fast das gesamte Erythrozyten-Volumen in der Milz sequestriert [26]. Es kommt zur ausgeprägten Vergrößerung der Milz, zu Anämie mit Retikulozytose, Thrombopenie und Schock. Abdominelle Schmerzen müssen nicht zwangsläufig auftreten. In den meisten Fällen ist eine Transfusion erforderlich. Wenn transfundiert wird, sollte zuerst nur die Hälfte des geplanten Volumens gegeben werden, da bei einer Milzsequestration ein Teil des sequestrierten Blutes wieder mobilisiert wird. Ein Hyperviskositäts-Syndrom muss vermieden werden. Die Splenektomie sollte erst nach Erreichen eines stabilen Zustandes durchgeführt werden.

5.8.2Intrahepatische Cholestase (Hyperbilirubinämie-Syndrom)

Ein extremer Bilirubin-Anstieg durch intrahepatische Cholestase auf Werte >30 bis 50 mg/dl, (indirektes und direktes Bilirubin meist im Verhältnis 50:50) wird auch als Hyperbilirubinämie-Syndrom bezeichnet [27]. Es kommt überwiegend bei HbSS-Patienten vor. Während es bei Kindern, die zumeist in gutem Allgemeinzustand sind und normale Transaminasen und keine Organbeteiligung haben, spontan abklingt, stellt es bei Erwachsenen eine lebensbedrohliche Situation dar. Diese ist gekennzeichnet durch einen extremen Bilirubinanstieg, schweres Krankheitsgefühl, akute Niereninsuffizienz und Gerinnungsstörungen. Es besteht eine absolute Indikation zur frühzeitigen Austauschtransfusion.

5.8.3Sichelzell-Hepatopathie

Je älter Sichelzellpatienten werden desto häufiger entwickelt sich bei HbSS bzw. HbSβ°Thal Patienten eine chronische Hepatopathie, die in der Literatur nur selten erwähnt wird. Wenn Ursachen wie intrahepatische Gallensteine, Eisenüberladung durch Transfusionen, Virus-Hepatitis, Auto-Immun-Hepatitis, Alkoholabusus ausgeschlossen sind, handelt es sich um eine Schädigung der Leber durch vaskuläre Läsionen. Rezidivierende Vaso-Okklusionen führen zu Ischämie und Schädigung der Gallenwege und schließlich der Leberzellen. Erste Anzeichen einer Sichelzell-Hepatopathie sind ein erhöhtes direktes Bilirubin bzw. γ GT. Bei allen erwachsenen Sichelzellpatienten sollte daher jährlich das direkte Bilirubin und neben Transaminasen auch die γ GT bestimmt werden. Wenn das direkte Bilirubin (im freien Intervall, d.h. nicht während einer Schmerzkrise) > 0,6 mg/dl bzw. die γ GT > 3 - 5 x Normwert übersteigt, muss an eine Hepatopathie gedacht werden. Zur Diagnose der Fibrose bzw. Zirrhose kann ein Elastogramm der Leber hilfreich sein [28].
Bei der vaskulär bedingten Sichelzell-Hepatopathie kann ein chronisches Transfusionsprogramm (Erythrozytapherese) das Fortschreiten der Leberschädigung aufhalten [27].

5.8.4Cholecystolithiasis

Ca. 70% der erwachsenen Sichelzellpatienten (überwiegend HbSS/HbS-β °-Thalassämie) entwickeln auf Grund der chronischen Hämolyse Gallensteine mit entsprechender klinischer Symptomatik (in etwa 20% der Fälle). Die britischen und USA-Leitlinien empfehlen die laparoskopische Cholezystektomie erst bei Symptomen, die französischen Leitlinien auch bei asymptomatischen Patienten.

5.9Akute neurologische Ereignisse

ZNS Infarkte bzw. Blutungen

ZNS Infarkte traten früher vor allem in der Kindheit auf, bis 1998 Präventiv-Maßnahmen (Transkranielle Doppler-Sonographie (TCDS) und Transfusionen für Risikopatienten) etabliert wurden.

In der 3. Lebensdekade überwiegen ZNS-Blutungen, die intrazerebral, subarachnoidal (Aneurysmen), epi- oder subdural auftreten können. Betroffen sind vor allem HbSS- und HbS-β°-Thalassämie-Patienten, wesentlich seltener HbSC-Patienten. Risikofaktoren für intrakranielle Blutungen sind neben Aneurysmen ein chronisch erniedrigtes Hb (<6 g/dl) bzw. eine andauernde Granulozytose, eine Transfusion in den letzten 2 Wochen, Corticosteroid-Gabe oder ein ATS [29]. Ca. 10% aller Sichelzellpatienten haben Aneurysmen, allerdings in atypischer Lokalisation [30]. ZNS Blutungen haben eine sehr schlechte Prognose.

Die primären Infarkte bei erwachsenen Patienten mit HbSS bzw. HbS-β°-Thalassämie (4. Lebensdekade) sind zu ca. 50% auf Gefäßveränderungen der großen cerebralen Arterien zurückzuführen, die restlichen 50% sind eher die Folge von kardial bedingten Embolien, Hypertonus, Rauchen, ATS, Hyperviskosität durch nicht indizierte Transfusionen oder Schwangerschaft. Zerebrale Blutungen bei dieser Patientengruppe beruhen in 85% auf pathologischen Veränderungen der großen Gefäße, in einigen Fällen auf Therapie mit Antikoagulanzien.

Therapie

Bei einem akuten ZNS-Ereignis muss so rasch wie möglich eine partielle Austauschtransfusion durchgeführt werden, um den HbS-Anteil auf <30% zu senken. Bei Infarkten wird inzwischen auch bei Sichelzellpatienten, wenn es keine Kontraindikationen gibt, eine thrombolytische Therapie empfohlen [31]. Die Therapie bei intrakraniellen Blutungen richtet sich nach der Lokalisation bzw. dem Ausmaß der Blutung. Nach einem Infarkt ist ein lebenslanges Transfusionsprogramm indiziert. Es ist noch unklar, ob dies auch nach einer Hirnblutung von Nutzen ist. Zudem sollte die Möglichkeit einer Stammzelltransplantation überprüft werden.

5.10Priapismus

Priapismus (Ursache fast ausschließlich ischämisch bedingt) [3233]

Männliche Sichelzellpatienten müssen über das relativ häufige Auftreten eines Priapismus informiert werden (bei ca. 40 bis 50% der erwachsenen Männer). Man unterscheidet kurzdauernde (<3 Std.), spontan sistierende, auch "stuttering" Priapismus genannte Episoden von langdauernden (>3 Std.), die unbehandelt zu Impotenz führen können.

Nächtlicher Priapismus scheint sehr häufig durch nächtliche Hypoxien ausgelöst zu werden. Deshalb wird empfohlen im Schlaflabor nach hypoxischen Episoden zu suchen und den Priapismus ggf. durch nächtliche Sauerstoffgabe zu verhindern.

Andere bekannte Auslöser sind Nikotin, Alkohol, Cannabis, Kokain, Asthma aber auch Hyperviskosität (Hb-Werte >10 bis 11 g/dl). In die empfohlenen Maßnahmen zur Therapie und Prophylaxe sind die Patienten nach Möglichkeit mit einzubeziehen.

Therapie und Prophylaxe

 1. rezidivierende, kurze Episoden (sog. "stuttering priapism"):

Patient: Blase entleeren, Flexion und Extension der Beine, reichlich Flüssigkeitszufuhr, Analgetika, Wärme (z.B. heiße Dusche).

Medikation: Etilefrin (alpha-adrenerger Agonist) 5 bis 10 mg oral, Beginn abends, Fortführung 4-stündlich, auch in der Nacht (über 14 Tage), bei Episoden tagsüber, Etilefrin in gleicher Dosierung, 2 x im Tagesverlauf, wenn erfolglos ggf. Crypoteron, Tadalafil bzw. Terbutalen (urologische Mitbetreuung empfohlen).

 2. Priapismus über 3 Stunden

Wenn keine Rückbildung unter Hydrierung, Wärme, Analgetika, und ggf. Blasenkatheter:

  • Drainage der Corpora cavernosa über G 23 Butterfly, anschließend 1-2 x intracavernöse Injektion von 6 - 10 mg Etilefrin.

  • Alternativen (da Etilefrin zur Injektion nur noch über Internationale Apotheke erhältlich):
    Methylenblau 25 mg (Kinder) bzw. 50 mg (Erwachsene) intracavernös oder Epinephrin (Suprarenin®) 10 ml einer 1: 100 000 Lösung intracavernös (Herstellung der Verdünnung: 1 ml einer 1: 1 000 Lösung Epinephrin in 1 Liter 0,9% Na Cl).

 3. bei rezidivierenden, langen Episoden

  • Unterweisung der Patienten durch den Urologen, selbst mit Butterfly-Nadel (G 25 oder 27) 6 mg Etilefrin intracavernös zu injizieren, wenn unter Hydrierung der Priapismus über eine Stunde anhält.

5.11Infektionen

5.11.1Sepsis

Alle Sichelzellpatienten entwickeln früher (HbSS, HbS-β °-Thalassämie, HbSD, HbSOArab) oder später (die übrigen compound-heterozygoten Formen) eine funktionelle Asplenie, die ein hohes Risiko für eine Pneumokokken-Sepsis darstellt. Erwachsene Sichelzellpatienten sind zusätzlich auch durch gramnegative Keime gefährdet.

Bei unklarem Fieber >38,5 °C ist eine Sepsis auszuschließen und unter stationären Bedingungen eine antibiotische Therapie einzuleiten (Blutkulturen, danach vorzugsweise Amoxicillin oder ein Cephalosporin). Bei Anwendung von Ceftriaxon kann es in Einzelfällen zu schweren Hämolysen kommen). Patienten müssen daher bezüglich dieser Komplikation überwacht werden. Bei fulminanter Sepsis muss eine partielle Austauschtransfusion durchgeführt werden. Hierdurch kann insbesondere bei Salmonellen-Sepsis die hohe Mortalitätsrate gesenkt werden.

5.11.2Parvovirus B 19 Infektion

Patienten mit chronischer hämolytischer Anämie, d.h. auch Sichelzellpatienten haben bei einer Parvovirus B19 Infektion ein erhöhtes Risiko einer aplastischen Krise. Bei Sichelzellpatienten sind insbesondere das Risiko von Milzsequestration und ATS hervorzuheben [34]. Die Parvovirus B19 Infektion, die bei Sichelzellpatienten und Patienten mit anderen hämolytischen Anämien meist ohne typisches Exanthem verläuft, hinterlässt eine lebenslange Immunität. Neben Parvovirus B19 gibt es noch andere, seltenere Erythroviren, die auch zur Aplasie führen können. Es besteht zumeist Transfusionsbedarf.

6Chronische Komplikationen

6.1Chronische Schmerzen

Die Inzidenz chronischer Schmerzen (>3 Monate) bei erwachsenen Sichelzellpatienten wird auf ca. 40% geschätzt [35].

Ursachen chronischer Schmerzen wie aseptische Nekrosen (Hüftköpfe, Humerusköpfe, Knie), Deckplatteneinbrüche der Wirbelkörper, Unterschenkel-Ulzera müssen ausgeschlossen werden. Ältere Sichelzellpatienten erfahren durch Schädigung zentraler und peripherer Nerven chronische Schmerzen mit neuropathischer Qualität [36].

Opiate sind wenig effektiv, Alternativen sind trizyklische Antidepressiva, Antiepileptika und selektive Serotonin Wiederaufnahme Hemmer (SSRI) [37]. Eine besondere Form der neuropathischen Störung bei Sichelzellpatienten manifestiert sich als "numb chin" Syndrom durch Kompression des Nervus mentalis [38]. Das Taubheitsgefühl ist meist einseitig und kann Wochen bis Monate andauern. Wenn Sichelzellpatienten Schmerzen in den kleinen Gelenken der Hände bzw. über Morgensteifigkeit der Hände klagen, muss eine rheumatoide Arthritis ausgeschlossen werden.

6.2Avaskuläre Nekrosen

Bis zu 90% aller Patienten mit Sichelzellerkrankung entwickeln im Laufe ihres Lebens Osteonekrosen.
Besonders häufig sind die langen Röhrenknochen betroffen, generell können Osteonekrosen jedoch in jedem Knochen auftreten. Begünstigende Faktoren für das Auftreten von Osteonekrosen sind ein hoher Hb-Wert bei niedrigem HbF sowie das zusätzliche Vorliegen einer alpha-Thalassämie.

6.2.1Chronische Osteonekrosen

Avaskuläre Osteonekrosen (AVN) im Bereich der Schulter und des Hüftkopfes sind am häufigsten.
Erste Anzeichen bei Hüftkopfnekrosen sind oft Schmerzen im Bereich des Gesäßes, der Leiste oder der Knie. Auch Schmerzen in der kontralateralen Hüfte oder gar generalisiert kommen vor. Frühe Veränderungen sind nur im MRT sichtbar.

Therapie der chronischen avaskulären Osteonekrose des Hüftkopfes

Tabelle 12: Stufen der Therapie  

1

Konservative Maßnahmen

  • Gezielte Krankengymnastik zur Kräftigung der entsprechenden Muskelpartien

2

Hüftkopf-Dekompression (core decompression)

  • keine randomisierten Studien, Einzelfallentscheidung

  • Sinnvoll nur in Frühstadien (Stadium I-II)

3

Arthroplastie

  • Bei fortgeschrittenen Stadien mit Zerstörung der Gelenkfläche

Therapie der Humeruskopfnekrose

Auch hier ist die erste Maßnahme gezielte Krankengymnastik. Bei Humeruskopfnekrosen kommt es seltener zur kompletten Zerstörung des Gelenkes. Auch hier ist im Frühstadium eine core decompression sinnvoll.

Knochenstoffwechsel: Osteopenie / Osteoporose

Nach Vitamin-D-Mangel soll bei allen Patienten gesucht werden, da ein Zusammenhang vermutet wird zwischen Mangel und Schmerzhäufigkeit. Bisphophonate werden derzeit nicht empfohlen.

6.3Thrombophilie

Die Sichelzellerkankung ist eine thrombophile Erkrankung. Die Diagnostik ist erschwert, da bei den Patienten durch die chronische Hämolyse und die Vaskulopathie in aller Regel auch ohne embolisches Geschehen erhöhte D-Dimere vorliegen.

Im steady state finden sich D-Dimere in der Höhe von 1,1 mg/l (+/- 0,8 mg/l) in der Krise von 2,7 mg/l (+/-3,1 mg/l). Liegen die D-Dimere deutlich über den Werten einer Sichelzellkrise sollte ein embolisches Geschehen ausgeschlossen werden [39].

Tabelle 13: Indikationen und Möglichkeiten der Antikoagulation 

Indikation

Präparate

Thrombose-Prophylaxe

  • Stationäre Behandlung

  • Akute Schmerzkrise

  • Pneumonie

  • Hochfieberhafter Infekt

  • Chirurgische Eingriffe

  • Peripartal

  • LMWH

  • Heparin 3 x 5000 IE

  • Fondaparinux 2,5 mg

Voll-Antikoagulation

  • Tiefe Beinvenenthrombose

  • Lungenembolie

  • Thrombose bei einliegenden zentralen Venenkatheter

  • DOAK*

  • Cumarine

  • LMWH

*bisher liegen nur begrenzte Erfahrungen vor, eine Anwendung erscheint möglich

6.4Kardiopulmonale Komplikationen

Kardiopulmonale Probleme und chronische Niereninsuffizienz und stellen ca. 30% der Todesursachen bei Sichelzellpatienten (überwiegend HbSS) dar. Die kardialen Probleme unterteilen sich in 2 Gruppen [40].

Tabelle 14: Pathogenese, Differentialdiagnostik und Therapie kardialer Komplikationen: 

Kardiomyopathie und Herzinsuffizienz

Myokardinfarkt,

Arrhythmien,

plötzlicher Herztod

Ursache

Chronische Anämie

  • erhöhtes Schlagvolumen

  • erhöhtes Plasmavolumen

  • LV-Dilatation und Hypertrophie

  • kardiale Fibrose

  • High-output-failure

  • chronische Hämolyse

  • mikrovaskuläre Dysfunktion

Mikrovaskuläre Verschlüsse

 

myokardiale Fibrose und Narbenbildung

Diagnostik

EKG

  • Zeichen der LV-Hypertrophie

  • 1/3 zeigen prolongierte QTc-Zeit

BNP

  • In frühem Stadium oft noch normal

Echo

  • Diastolische Dysfunktion

  • LA-Dilatation

  • Normale systolische Funktion

EKG / Langzeit-EKG

  • QTc-Zeit >480 ms

  • NSTEMI mit unspezifischen EKG-Veränderungen

  • AV-Block Grad I

  • Ventrikuläre Arrhythmien

Kardio-MRT

  • Narbenbildung

 

Herzkatheter

  • bei V.a. KHK oder V.a. Dilatative Koronaropathie (Koronararterienektasie)

Therapie

vorsichtige Gabe von Schleifendiuretika/

Mineralocorticoidantagonisten (CAVE: bei zu hoher Dosierung Dehydratation und Auslösung einer Sichelzellkrise)

Sichelspezifische Therapie

Hydroxyurea

chronische Bluttransfusionen

Hydroxyurea

ggf. chronisches Austauschtransfusionsprogramm

(nur wenig Daten verfügbar)

6.5Chronisch pulmonale Komplikationen

Unter den möglichen Störungen finden sich pulmonale Hypertonie, nächtliche Hypoxie (sleep disordered breathing), Lungenfibrose, chronische Dyspnoe mit pathologischen Lungenfunktionstests, Asthma (mit und ohne allergische Diathese), chronische Thromboembolien.

Tabelle 15: Differentialdiagnose/ Therapie pulmonaler Komplikationen 

Pulmonaler Hochdruck

Lungenfibrose/

Thoraxridgidität

Nächtliche Hypoxie

Asthma

Akute/chronische Thrombembolie

Klinik

Belastungsdyspnoe,

Präsynkopen,

thorakale Schmerzen

Unterschenkelödeme

im Verlauf zunehmend eingeschränkte Belastbarkeit

Tagesmüdigkeit,

steigender Schmerzmittel-bedarf in den Morgenstunden

Anfallsartige Dyspnoe

Dyspnoe

Diagnostik

Echokardiogramm:

wenn TRV > 2,9 m/s dann Rechtsherz-Katheter (RHK)

 

wenn TRV ≥2.5 m/sec – 2,9 m/sec

wenn 6 Minuten Gehtest pathologisch bzw. das BNP > 160 pg/ml dann RHK

02-Sättigung

 

CT-Thorax nativ

 

Lungenfunktion:

Häufig restriktive Ventilations- störung durch Zunahme der Thoraxrigidität

 

Abnahme DLCO und VC, TLC

Schlaflabor

oder

24h-Erfassung der Sauerstoff-Sättigung

Lungen-funktion

CT-Angiographie oder Lungenszintigramm

(CAVE: Abgrenzung manchmal schwierig zu Obstruktion durch Sichelzellen)

 

D-Dimer-Erhöhung:

Wenn höher als in der Sichelzellkrise (s. Thrombophilie)

Sichelspezifische

Therapie

Alle Patienten sollten Hydroxyurea erhalten,

bei fehlender klinischer Verbesserung Diskussion chronisches Transfusionsprogramm (siehe Kapitel 5.3.2)

Allgemeine Therapie

ggf. Bosentan oder Prostanoid-Antagonisten

kein Sildenafil

Atemgymnastik

Nächtliche Sauerstofftherapie

ß2-Agonisten

inhalative Steroide

Antikoagulation

(siehe Kapitel 6.3)

6.6Unterschenkelulzera

Vorkommen: 25 % aller Sichelzellpatienten, vor allem aber HbSS-Patienten afrikanischer Herkunft, mögliche Ursachen: Trauma, ausgeprägte intravasale Hämolyse, aber auch Endothelschäden, Thrombophilie und Inflammation durch die Sichelzellkrankheit.

Die wichtigsten Aspekte der Behandlung sind: frühes Hinzuziehen eines Wundexperten und eine adäquate Schmerztherapie. Auf jeden Fall muss folgendes vermieden werden: Biopsie der Wunde; Spaltlappendeckung; haftende Verbände.

Die Heilung wird beschleunigt durch granulationsfördernde Verbände, Curettage von Belägen, Kompressionsverband. Darüber hinaus sollte die Therapie mit Hydroxyurea erwogen werden. Die in der Fachinformation beschriebene Nebenwirkung der Entwicklung von Beinulcera stellt hierbei keine Kontraindikation dar. Um systemische Opiate bei sehr starken Schmerzen zu vermeiden, können Opiate topisch eingesetzt werden, als Lösung direkt auf die Wunde [1541].

.

6.7Nephropathien

Die Nephropathie ist die häufigste chronische Organschädigung und betrifft überwiegend Patienten mit HbSS, HbS-β°-Thalassämie, HbSD, HbSOArab. Sie wird verursacht durch Hyperfiltration, Folgen der intravasalen Hämolyse, endotheliale Dysfunktion, Vaso-Okklusionen der Medulla sowie Toxizität der NSAR [43].

Tabelle 16: Differentialdiagnostik und Therapie der renalen Manifestationen [44]. 

Lokalisation

Pathophysiologie

Manifestation

Diagnostik

Therapie

Tubulus

Konzentrationsdefekt ab Kleinkindzeit

Enuresis evtl. bis

Erwachsenenalter

Urinosmolarität:

Hyposthenurie

keine Flüssigkeits- beschränkung,

nephrol u/o urologische Enuresistherapie

Papillen

Nekrosen bei 13-30%

der Patienten

Schmerzlose Makrohämaturie

US der Nieren

sistiert spontan, Bettruhe, Flüssigkeit

Prärenal

in 4% bei Schmerzkrisen, ATS

Akutes Nierenversagen

Kreatinin ↑

evtl. Dialyse

Glomeruli

Hyperfiltration

Endothelschaden

Albuminurie, Hämaturie

ab 7 Jahre jährl. Urinanalyse,

wenn Stix pos.

Albumin/Kreatinin Quotient

24 Std. Urin

 

CAVE: Kreatinin falsch niedrig

(obere Normgrenze 0,8 mg/dl)

wenn Proteinurie

> 300 mg/ 24 Std.

ACE Hemmer

 

Hydroxycarbamid

 

Chron. Niereninsuffizienz*:

Erythropoietin in hoher Dosis**

* Bei Dialysepflicht frühzeitige Nierentransplantation, da dies zu einer Prognoseverbesserung führt [45];
** Sichelzellpatienten brauchen sehr hohe Dosen Erythropoetin, Beginn mit 150-200 U / kg / Woche, Steigerung alle 4- 6 Wochen

6.8Retinopathien

Eine proliferative Retinopathie (PRP) kommt bei HbSS- und HbS-β-Thalassämie Patienten in ca. 20%, bei HbSC-Patienten in ca. 75% der Fälle vor [46]. Folgen der PRP sind Retinaablösung und Glaskörperblutungen.

Bei HbSC-Patienten muss ab dem 7. Lebensjahr, bei HbSS- bzw. HbS-β-Thalassämie-Patienten ab dem 10. Lebensjahr jährlich eine Retinoskopie durchgeführt werden. Die späteren Stadien benötigen eine Laser-Koagulation. Inzwischen wird diskutiert, ob Injektionen in den Glaskörper von Bevacizumab (monoklonaler anti-VEGF Antikörper zur Angiogenesehemmung) bei Sichelzellpatienten angewandt werden sollen [47].

7Besondere Situationen

7.1Betreuung in der Schwangerschaft

Sichelzellpatientinnen haben eine mit der gesunden Bevölkerung zunächst vergleichbare Fertilität. Allerdings scheint sich die ovarielle Reserve mit zunehmendem Alter schneller zu erschöpfen [48]. Vor einer geplanten Schwangerschaft sollten folgende Untersuchungen gemacht werden:

  • Untersuchung des Partners auf Trägerschaft einer β-Globin-Mutation (HbS, HbD, β-Thalassämie, Hb Lepore, α-Thalassämie), um genetische Beratung und pränatale Diagnostik durchführen zu können.

  • Screening auf Erythrozyten - AK

  • Cholezystektomie, wenn Gallensteine nachgewiesen

  • Retinoskopie (Risiko der Blutung unter Wehen)

  • Versorgung einer AVN (Hüft- oder Humeruskopf)

  • Echokardiographie, um pulmonalen Hochdruck auszuschließen (absolute Kontraindikation für eine Schwangerschaft!)

  • bei chronisch transfundierten Patientinnen: Evaluation der Eisenüberladung und evtl. intensive Chelattherapie

Eine engmaschige Betreuung der Schwangeren gemeinsam durch Gynäkologen und Hämatologen ist unerlässlich. Die Vorsorge-Untersuchungen sollten doppelt so häufig durchgeführt werden wie bei einer gesunden Schwangeren, da es sich um eine Hochrisiko-Schwangerschaft handelt. Die Entbindung muss in einer Klinik Level 3 stattfinden. Die Frühgeburtsrate ist erhöht.

Die hypothetische teratogene Wirkung von Hydroxycarbamid (HU) beim Menschen beruht auf Daten von Tierversuchen in den 60er und 80er Jahren, bei denen Ratten bzw. Hamster ein Vielfaches (50-100x) der Dosis bekamen, die bei Sichelzellpatienten angewandt wird. Bei Kindern, deren Mütter oder Väter um den Zeitpunkt der Konzeption und/oder während der Schwangerschaft HU in der für Sichelzellpatienten empfohlenen Dosis genommen hatten, wurden hingegen bisher keine Fehlbildungen gesehen [49]. Zur Zeit wird daher zu Recht diskutiert, ob Hydroxyurea während der Schwangerschaft weiter gegeben werden kann [5051]. Die offiziellen Empfehlungen der internationalen Leitlinien in Übereinstimmung mit der Fachinformation sind noch immer, HU 3-6 Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abzusetzen. Allerdings sehen wir uns immer wieder mit der Situation konfrontiert, dass Patientinnen unter der Therapie mit HU ungeplant schwanger werden. In diesem Fall scheint es nach ausführlicher Beratung der Patienten vertretbar, die Schwangerschaft fortzuführen und das HU erst dann abzusetzen. Alternativ kann bei Zunahme der Schmerzereignisse oder bei bekanntem komplikativem Verlauf vor Eintritt der Schwangerschaft nach Absetzen des HU auf ein chronisches Transfusionsprogramm umgestellt werden [7].

Während der Schwangerschaft kann es zu gehäuften Schmerzkrisen kommen, die nach denselben Prinzipien wie vor der Schwangerschaft behandelt werden. Ausnahmen: kein Metamizol in der Schwangerschaft, keine NSAR im letzten Drittel der Schwangerschaft, da sonst das Frühgeburts-Risiko erhöht wird. PCM und Opiate sind während der gesamten Schwangerschaft erlaubt.

Ob sich routinemäßige Transfusionen neben dem Nutzen für die Mutter auch positiv auf den Feten auswirken ist umstritten [5253]. Transfusionen sind indiziert bei akutem Thorax-Syndrom, Organversagen, symptomatischer Anämie. Sie sind oft notwendig, wenn nach Absetzen des HU wieder schwere und häufige Schmerzen auftreten. Für den Entbindungsmodus sind die geburtshilflichen Kriterien entscheidend. Bei einer Sectio ist eine Regional-Anästhesie einer Vollnarkose vorzuziehen. Nach einer vaginalen Entbindung ist eine Thromboseprophylaxe für 7 Tage, nach einer Sectio für 6 Wochen notwendig.

HU wird in der Muttermilch ausgeschieden, allerdings in sehr geringen Dosen. Die Weiterführung von HU während des Stillens wird inzwischen für ungefährlich und sinnvoll gehalten [54].

7.2Besonderheiten der HbSC-Krankheit

In Deutschland lebende HbSC-Patienten stammen aus Ghana, Burkina-Faso, Togo, Kamerun, Nigeria - aber auch aus der Karibik und Nord-und Südamerika. Diese Form der Erkrankung wird zu Unrecht oft als "leichte Form der Sichelzell-Anämie" bezeichnet (keine ZNS-Infarkte, selten ATS, selten Niereninsuffizienz, höhere Lebenserwartung als HbSS-Patienten) Die Erkrankung ist weder leicht noch trifft der Begriff "Sichelzellanämie" zu: die Lebensqualität der HbSC-Patienten kann extrem beeinträchtigt werden durch Blindheit und / oder Taubheit [13] und >90% der erwachsenen Patienten haben keine Anämie sondern Hb-Werte im unteren Bereich der Altersnorm.

Nach der Pubertät haben >90% der Betroffenen einen Hb-Wert weit über 10 g/dl, oft 13 bis 14 g/dl. Die abnorm geformten Erythrozyten beinträchtigen die Fließeigenschaften des Blutes. Die Folgen der hohen Blutviskosität sind: Schmerzen, chronische Kopfschmerzen, oft Dauerschmerzen im gesamten Skelettsystem, Hörstürze, die, wenn mit Kortikoiden behandelt, zur irreversiblen Taubheit und proliferative Retinopathie (bei ca. 70% der Patienten) die unbehandelt zur Blindheit führen kann. Auch das Risiko für thromboembolische Ereignisse ist erhöht.

Aderlässe sind indiziert bei allen symptomatischen Patienten, vor allem bei denen, die einen akuten Hörsturz erleiden. Kortison ist kontraindiziert, da es zu einer Granulozytose führt, die die Viskosität noch mehr erhöht und den Hörsturz irreversibel macht. Sollte der Aderlass nicht zum Erfolg führen, darf Kortison nur nach partieller Austauschtransfusion gegeben werden.

Aufgrund der zur HbSS-Erkrankung unterschiedlichen Pathophysiologie der HbSC-Erkrankung wurde der Einsatz von Hydroxyurea bei dieser Patientengruppe bisher nicht in Studien untersucht. Bei einer kleinen Gruppe von Patienten mit niedrigem Hb-Wert (< 10 g/dl) und schwerem klinischen Verlauf kann es möglicherweise von Nutzen sein.

Bei HbSC-Patienten muss ab dem 7. Lebensjahr jährlich eine Retinoskopie durchgeführt werden. Wird eine proliferative Retinopathie zu spät erkannt und behandelt, führt dies zu irreversiblem Visusverlust.

7.3Betreuung bei chirurgischen Eingriffen

Chirurgische Eingriffe

Alle Eingriffe in Allgemeinnarkose müssen unter stationären Bedingungen in Kliniken mit Expertise in der Behandlung von Sichelzellpatienten durchgeführt werden.

Vor Durchführung des Eingriffes müssen das individuelle Risiko des Patienten, der Steady-State Hb-Wert, Komplikationen bei vorherigen Transfusionen (Vorliegen von Allo-Antikörpern, Risiko des Auftretens einer posttransfusionellen Hämolyse) als auch das OP-Risiko berücksichtigt werden.

Hieraus ergeben sich die folgenden Empfehlungen [755]:

Tabelle 17: Risikoeinschätzung und Therapie bei Operationen 

Niedriges Risiko

Mittleres Risiko

Hohes Risiko

OP-Risiko

kurzer Eingriff (< 1 h),

minimales OP-Risiko,

laparoskopische CHE (ohne Risikofaktoren),

Port-Implantation

Laparoskopische CHE (mit Risiko-Faktoren),

Tonsillektomie,

ophthalmologische Eingriffe,

Hüft-TEP

abdominelle Eingriffe,

neurochirurgische Eingriffe,

Herz-/Lungeneingriffe

Patienten-Risiko

kein Risikofaktor

Steady-state Hb ≥7-8 g/dl

Z.n. akutem Thoraxsyndrom,

wiederholte chronische Probleme,

häufige Schmerzkrisen

Akutes Thoraxsyndrom innerhalb der letzten 6 Monate,

mehrfache Thoraxsyndrome,

Schlaganfall

Therapie

keine

Evtl. Top-up-Transfusion

(hierbei sollte der Hb-Wert 10 g/dl nicht übersteigen!!)

Austauschtransfusion mit Absenkung des HbS-Anteils auf <30%

Bei jeder Allgemeinnarkose bei Sichelzellpatienten ist auf folgendes zu achten:

  • Hydrierung mit 1500 ml/m² 24 Std. von Beginn der Nüchternheit bis zur vollen oralen Flüssigkeitszufuhr

  • Oxygenierung von Prämedikation bis zum vollen Wachsein, unter Oxymeterkontrolle.

  • kontinuierliche postoperative Pulsoxymetrie bis mindestens zum Morgen des ersten postoperativen Tages, Ziel-Sauerstoff-Sättigung >95%

  • Postoperative Atemgymnastik mit Triflow [2]

  • Vermeiden einer Unterkühlung

  • Postoperative Thromboseprophylaxe mit low-dose-Heparinisieren (LMWH) bei mittlerem und hohem Risiko, vor allem bei Patienten mit Sichelzell--Thalassämie und HbSC-Erkrankung empfohlen, bei niedrigem Risiko zu erwägen (z.B. nach Portimplantation) [24]

8[Kapitel nicht relevant]

9Literatur

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10[Kapitel nicht relevant]

11[Kapitel nicht relevant]

12[Kapitel nicht relevant]

13[Kapitel nicht relevant]

15Anschriften der Experten

PD Dr. med. Ferras Alashkar
Universitätsklinikum Essen
Klinik für Hämatologie und Stammzelltransplantation
Westdeutsches Tumorzentrum (WTZ)
Hufelandstr. 55
45147 Essen
Prof. Dr. med. Holger Cario
Universitätsklinikum Ulm
Klinik für Kinder- u. Jugendmedizin
Kinder-Hämatologie, -Onkologie & -Hämostaseologie
Eythstr. 24
89075 Ulm
Prof. Dr. med. Selim Corbacioglu
Universitätsklinikum Regensburg
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin
Franz-Josef-Strauss-Allee 11
93053 Regensburg
Dr. med. Roswitha Dickerhoff
Dr. med. Laura Distelmaier
Klinikum der Universität München (LMU)
Medizinische Klinik und Poliklinik III
Campus Innenstadt
Ziemsenstr. 1
80336 München
Dr. med. Inga Hegemann
Klinik für medizinische Onkologie und Hämatologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich
Dr. Anette Hoferer
Robert-Bosch-Krankenhaus
Auerbachstr. 110
70376 Stuttgart
Univ.-Prof. Dr. med. Leo Kager
St. Anna Kinderspital und
St. Anna Kinderkrebsforschung
Kinderspitalgasse 6
A-1090 Wien
Prof. Dr. med. Philipp le Coutre
Charité Universitätsmedizin Berlin
Campus Virchow Klinikum
Medizinische Klinik m. S. Hämtologie und Onkologie
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Dr. med. Stephan Lobitz
Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie
Koblenzer Straße 115-155
56073 Koblenz
Prof. Dr. Markus Schmugge Liner
Universitats-Kinderspital Zurich
Lenggstr. 30
CH-8008 Zurich
Univ.-Prof. Dr. Christian Sillaber
Allgemeines Krankenhaus Wien
Klinik für Innere Medizin I
Klinische Abt. für Hämatologie
und Hämostaseologie
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien
Prof. Dr. med. Bernhard Wörmann
Amb. Gesundheitszentrum der Charité
Campus Virchow-Klinikum
Med. Klinik m.S. Hämatologie & Onkologie
Augustenburger Platz 1
13344 Berlin

16Erklärung zu möglichen Interessenkonflikten

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Reference:

Quellenangabe:

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