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Infektionen in der Ambulanz

Stand September 2023
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1Zusammenfassung

Infektionen sind eine häufige Komplikation bei Patient*innen mit hämatologischen und onkologischen Erkrankungen, auch im ambulanten Bereich. Sie führen zu belastender Morbidität und können die Durchführung der wirksamen antineoplastischen Therapie verzögern oder gefährden. Die Identifikation von Risikokollektiven für komplizierte Infektionen reduziert Morbidität und Mortalität. Die Prävention bakterieller und viraler Infektionen durch medikamentöse Prophylaxe und konsequente Impfung ist eine wesentliche Säule dieser Strategie. Die präzise klinische Evaluation der Patient*innen mit febriler Neutropenie ermöglicht in vielen Fällen eine ambulante orale empirische Therapie und vermeidet unnötige Klinikaufenthalte.

Diese Empfehlungen basieren auf Leitlinien, die von der Arbeitsgemeinschaft Infektionen der DGHO (AGIHO) für die Prophylaxe, Diagnostik und Therapie dieser Patient*innen erstellt wurden und als Kurzfassungen in Onkopedia zugänglich sind. Grundlagen der Empfehlungen sind systematische Literaturrecherchen, die einheitliche Bewertung der Evidenzstärke und ein Konsensfindungsprozess.

2Grundlagen

2.1Definition und Basisinformationen

Die systemische Therapie der Erkrankungen aus Hämatologie und Onkologie kann in den meisten Fällen ambulant durchgeführt werden. Selbst fragile, komorbide und ältere Patient*innen mit Tumorerkrankungen werden zunehmend ambulant versorgt.

Patient*innen mit Erkrankungen der Hämatologie und Onkologie sind per se immunsupprimiert, selbst wenn noch keine spezifische Therapie durchgeführt wurde. Das Risiko für opportunistische Infektionen nimmt mit Art und Intensität einer spezifischen Therapie zu und korreliert mit der Grunderkrankung, dem Remissionsstatus und Allgemeinzustand der Patient*innen. Das Spektrum der infektiösen Komplikationen ist sehr heterogen und hängt wesentlich vom zellulären Immunstatus und der Dauer und Tiefe der Neutropenie ab. Infektiöse Komplikationen spielen eine wichtige Rolle für die Morbidität und Mortalität in diesem Kollektiv und sind wesentlich für Therapie-assoziierte Todesfälle verantwortlich.

Eine Vielzahl an Leitlinien und Empfehlungen zum Umgang mit opportunistischen Infektionen steht zur Verfügung. Diese sind in der Regel für spezielle Patient*innenkollektive (z.B. Stammzelltransplantation), für bestimmte mikrobiologisch gesicherte Infektionen oder für eine definierte Maßnahme (Prophylaxe oder Therapie) verfasst. Ziel dieser Übersicht ist es, Algorithmen für die Prophylaxe, Diagnose und Therapie von opportunistischen Infektionen bei ambulant versorgten Tumorpatient*innen bereit zu stellen. Grundlage der Empfehlungen sind die aktuellen Leitlinien der AGIHO. Die Algorithmen gelten für verschiedene Konstellationen:

  • „watch and wait“ Situation

  • spezifische Tumortherapie

  • Nachsorge

  • symptomorientierte Versorgung ohne spezifische Tumortherapie

Die Empfehlungen beziehen sich auf erwachsene Patient*innen.

3[Kapitel nicht relevant]

4[Kapitel nicht relevant]

5[Kapitel nicht relevant]

6Therapie und Prophylaxe

6.1Prophylaxe

6.1.1Antibakterielle Prophylaxe

Die Indikation zu antibakterieller Prophylaxe erfolgt risikoadaptiert [1]. Neben der zu erwartenden Dauer der Neutropenie (siehe Tabelle 1) spielen zusätzliche klinische Faktoren eine wichtige Rolle für die Einschätzung des Risikos für komplizierte Infektionsverläufe, siehe Tabelle 2.

Tabelle 1: Abschätzung des Risikos febriler Komplikationen in Abhängigkeit von der Dauer einer Neutropenie 

Klinische Situation

Intention

Intervention

SoR1

QoE1

Neutropenie >7 Tage

Abschätzung des Risikos für febrile Neutropenie

Hohes Risiko

A

I

Neutropenie 7 Tage und klinische Risikofaktoren2

Hohes Risiko

B

II

Neutropenie 7 Tage ohne klinische Risikofaktoren

Standardrisiko

A

I

1 SoR =Strength of recommendation; QoE = quality of evidence;
2 hier auch Abwägung der Indikation zur G-CSF-Gabe und Abschätzung des Risikos unter diesem Aspekt
Tabelle 2: Abschätzung des Risikos einer febrilen Neutropenie in Abhängigkeit klinischer Faktoren 

Klinische Risikofaktoren1

Diagnose und Stadium der Grunderkrankung

Art und Dosis der Chemotherapie

 1. Therapiezyklus

Herzinsuffizienz

Niereninsuffizienz

Vorbestehende Leukopenie

Erhöhung von alkalischer Phosphatase und Bilirubin

1 Faktoren, die in multivariater Analyse unabhängig mit dem Risiko für febrile Neutropenie assoziiert sind

Aus dieser Risikoabschätzung leiten sich die Empfehlungen zum Einsatz einer antibakteriellen Prophylaxe ab. In Bezug zur klinischen Situation und dem gewünschten Behandlungsziel sind diese in Tabelle 3 dargestellt.

Tabelle 3: Indikation zu antibakterieller Prophylaxe in Abhängigkeit von der Behandlungssituation 

Klinische Situation

Intention

Intervention

SoR1

QoE1

Hohes Risiko und 1. Zyklus

Vermeidung von Fieber und Infektion

Antibakterielle Prophylaxe

A

I

Hohes Risiko und alle weiteren Zyklen

B

I

Standardrisiko und 1. Zyklus

B

I

Standardrisiko und alle weiteren Zyklen

C

I

Hohes Risiko

Reduktion von Mortalität

B

II

Standardrisiko

C

II

Therapie mit Eculizumab, Ravulizumab oder Z.n. Splenektomie/bei funktioneller Asplenie ohne effektive Meningokokken-Impfung

Verhinderung einer Meningokokken-Infektion

Penicillin V 250 mg b.i.d. oder Ciprofloxacin 1 x 500 mg/Tag bis 4 Wochen nach Impfung oder Nachweis protektiver Titer

A

IIu

1 SoR =Strength of recommendation; QoE = quality of evidence;

Es können sowohl Fluorchinolone als auch Cotrimoxazol zur antibakteriellen Prophylaxe eingesetzt werden, siehe Tabelle 4 und Tabelle 5.

Tabelle 4: Medikamente der Wahl für die antibakterielle Prophylaxe 

Klinische Situation

Intention

Intervention

SoR

QoE

Neutropenische Patient*innen mit einer Indikation zur antibakteriellen Prophylaxe

Vermeidung von febriler Neutropenie oder Tod

Bevorzugung von FQ als Substanz, wenn eine Prophylaxe indiziert ist

A

I

Vermeidung von febriler Neutropenie oder Tod

Bevorzugung einer therapeutischen Dosis von TMP-SMX als Substanz, wenn eine Prophylaxe indiziert, ist

B

IIt

Vermeidung von febriler Neutropenie oder Tod

Selektive Darmdekontamination bevorzugt vs. systemisch wirkenden antibakteriellen Substanzen

*

Reduktion von Nebenwirkungen

FQ bevorzugt im Vergleich zu TMP/SMX

A

II

Vermeidung von febriler Neutropenie oder Tod

Ciprofloxacin oder Levofloxacin als FQ der Wahl

A

II

Vermeidung von febriler Neutropenie und gram positiven Infektionen

Kombination von FQ mit einer gegen grampositive Keime wirksamen Substanz

D

II

Neutropenische Patient*innen mit Indikation zu antibakterieller Prophylaxe und bekannter Kolonisierung mit multiresistenten Bakterien

Vermeidung von febriler Neutropenie oder Tod

FQ Prophylaxe bei bekannter Kolonisierung mit gram-negativen multiresistenten Bakterien

D

IIt, u

Tabelle 5: Dauer der antibakteriellen Prophylaxe  

Klinische Situation

Intention

Intervention

SoR1

QoE

Indikation zur antibakteriellen Prophylaxe und hohes Risiko für eine Infektion

Vermeidung von Fieber oder Infektion

Beginn der antibakteriellen Prophylaxe mit Beginn der Chemotherapie

B

IIu

Indikation zur antibakteriellen Prophylaxe und Niedrigrisiko für eine Infektion

Beginn der antibakteriellen Prophylaxe 5-8 Tage nach Beginn der Chemotherapie

B

III

Beginn einer empirischen Therapie mit Breitbandantibiotika

ODER

Ende der Neutropenie

Reduktion von Nebenwirkungen, Vermeidung einer Resistenzentwicklung

Beendigung der antibakteriellen Prophylaxe

A

IIu

Durchbruchinfektion bei Patient*innen mit FQ2 Prophylaxe

Behandlung der Infektion

Einsatz von FQ für die empirische Therapie

D

III

1 SoR =Strength of recommendation; QoE = quality of evidence;
2 FQ – Fluorchinolon

Ein Algorithmus zum Einsatz einer antibakteriellen Prophylaxe ist in Abbildung 1 dargestellt. Durch eine antibakterielle Prophylaxe können febrile Episoden und bakterielle Infektionen bei neutropenischen Patient*innen erfolgreich reduziert werden, wobei das Gesamtüberleben nicht nachweislich verbessert wird. Die Indikation zu einer antibiotischen Prophylaxe sollte aufgrund der damit assoziierten Nebenwirkungen und vor dem Hintergrund zunehmender Resistenzbildung kritisch abgewogen werden. Aufgrund des nachhaltigen Einflusses der Antibiotikaapplikation auf die Zusammensetzung der intestinalen Mikrobiota sowie der Selektion resistenter Bakterienstämme ist zudem unklar, ob der positive Effekt einer Prophylaxe bei seriellen Therapiezyklen aufrecht erhalten bleibt. Deshalb wurde die Evidenz zur Wirksamkeit einer antibakteriellen Prophylaxe zwischen dem ersten Therapiezyklus und den weiteren Zyklen getrennt analysiert und bewertet. Falls aus klinischer Sicht allein durch die Reduktion von Fieber und Infektion nach sorgfältiger Abwägung gegen die unerwünschten Wirkungen (Resistenzbildung, Toxizität, Nebenwirkungen) eine Indikation für eine Antibiotikaprophylaxe gestellt werden kann, so besteht für den ersten Therapiezyklus ein hoher Evidenzgrad für deren Effektivität (A I). Die Evidenz für diese Strategie bei Patient*innen mit Standardrisiko ist deutlich weniger stark (B I). Gleiches gilt für alle nachfolgenden Therapiezyklen für beide Risikogruppen: Im Hinblick auf Resistenzbildung und fehlende Evidenz kann die Effektivität einer Prophylaxe zur Verhinderung von Fieber und Infektionen hier nicht sicher bewertet werden (Hochrisiko B I – Niedrigrisiko C I).

Abbildung 1: Risikoadaptierter Algorithmus zur antibakteriellen Prophylaxe 
1 Erster Therapiezyklus
Herzinsuffizienz
Niereninsuffizienz
Leukozytopenie bei Therapiebeginn
Alkalische Phosphatase und Bilirubin erhöht
Art und Stadium der Grunderkrankung
Art und Dosis der Chemotherapie

6.1.2Pneumocystis-jirovecii-Prophylaxe

Eine Pneumocystis jirovecii-Pneumonie stellt eine schwere Komplikation in der Behandlung hämatologischer Patient*innen dar. Das Risiko für das Auftreten dieser Infektion steigt mit dem Ausmaß der zellulären Immunsuppression. Eine Risikostratifikation ist in Tabelle 6 dargestellt.

Tabelle 6: Risikofaktoren für Pneumocystis jirovecii-Pneumonie 

Hohes Risiko

Intermediäres Risiko

Besondere Indikation

  • Akute lymphatische Leukämie

  • Allogene Stammzelltransplantation

  • Langzeittherapie mit Steroiden >20 mg q.d.1 Prednison-Äquivalent >4 Wochen

  • Fludarabin + Cyclophosphamid + Rituximab

  • R-CHOP14 oder BEACOPP eskaliert

  • Nukleosid-Analoga

  • Ganzhirnbestrahlung + hochdosierte Steroide

  • CD4 Zellzahl <200 /µL

  • Alemtuzumab

  • Idelalisib (Fachinformation)

  • Ganzhirnbestrahlung + Temozolomid

In Abhängigkeit vom klinischen Risiko kann eine medikamentöse Prophylaxe durchgeführt werden [1]. Eine Auswahl der möglichen Substanzen in Bezug zur klinischen Fragestellung ist mit entsprechendem Empfehlungsgrad in Tabelle 7 und Tabelle 8 dargestellt.

Tabelle 7: Indikation zur Prophylaxe von Pneumocystis jirovecii-Pneumonien 

Klinische Situation

Intention

Intervention

SoR1

QoE1

Hohes Risiko

Prophylaxe der Infektion

TMP/SMX2

A

I

Intermediäres Risiko

C

III

Besondere Indikation

A

IIu, t

Hohes Risiko

Reduktion von Mortalität

TMP/SMX

A

IIr

Niedriges Risiko

C

III

1 SoR =Strength of recommendation; QoE = quality of evidence;
2 Cotrimoxazol;
Tabelle 8: Medikamente zur Prophylaxe von Pneumocystis jirovecii-Pneumonien 

Klinische Situation

Intention

Intervention

SoR1

QoE1

Indikation zu PjP2 Prophylaxe

Vermeidung von PjP

TMP-SMX als Mittel der ersten Wahl

A

IIt, r

Eine 80/400 mg Tablette täglich oder eine 160/800 mg Tablette entweder täglich oder dreimal die Woche

B

IIt

Patient*innen mit Intoleranz3 von oder schweren Nebenwirkungen durch TMP-SMX

Atovaquon als Mittel der 2. Wahl

  • 1500 mg/Tag

A

IIt

Dapson als Mittel der 2. Wahl

  • 100 mg/Tag

A

IIt

Pentamidin (aerosolisiert) als Mittel der 2. Wahl

  • 300 mg monatlich

B

IIt

1 SoR =Strength of recommendation; QoE = quality of evidence;
2Pneumocystis jirovecii-Pneumonie; 3 Bei bekannter Unverträglichkeit gegen Cotrimoxazol kann eine Desensibiliserung erwogen werden (Pyle RC et., J Allergy Clin Immunol Pract, 2014, 2(1):52 – 8. [2]

Der Algorithmus in Abbildung 2 stellt die Prophylaxe einer PjP Infektion entsprechend der Risikoabschätzung dar.

Abbildung 2: Risiko-adaptierter Algorithmus zur Prophylaxe einer PjP Infektion 
1 ggf, abweichende Empfehlungen in tumorbezogenen Leitlinien
2 Indikation entsprechend der Fachinformation

6.1.3Antimykotische Prophylaxe

Invasive Pilzinfektionen sind außerhalb der Behandlung von akuten Leukämien oder im Rahmen einer allogenen Stammzelltransplantation sehr selten. Ursache dafür ist die kurze Dauer einer Neutropenie, die in der Regel bei der Therapie von Tumorpatient*innen unter sieben Tagen liegt. Diese Patient*innen befinden sich damit im Hinblick auf neutropenische infektiöse Komplikationen in einem Standardrisiko.

Für dieses Patientenkollektiv gibt es keine generelle Indikation zu antimykotischer Prophylaxe. Bei längerfristigem Einsatz (≥ 4 Wochen) von Glukokortikoiden oder bei Bestrahlung bzw. Radiochemotherapie von Kopf-Hals- oder Ösophaguskarzinomen kann eine lokale antimykotische Prophylaxe von oropharyngealen oder ösophagealen Candida-Infektionen indiziert sein.

6.1.4Antivirale Prophylaxe

6.1.4.1Allgemein

Virale Infektionen sind in der Regel Komplikationen vorbestehender Infektionen, wie z.B. Hepatitis B oder Gürtelrose. Primäre Virusinfektion treten vor allem mit respiratorischen oder enteralen Viren auf. Das Risiko einer Reaktivierung korreliert mit der Tiefe der zellulären Immunsuppression. Weitere Risikofaktoren sind hohes Alter, prolongierte Neutropenie, fortgeschrittene und unkontrollierte Grunderkrankung und prolongierte Behandlung mit Steroiden. Für die antivirale Prophylaxe bei Patient*innen mit hämatologischen/-onkologischen Erkrankungen außerhalb der allogenen Stammzelltransplantation gelten in entsprechender Risikokonstellation drei wesentliche Prinzipien [3]:

Der Algorithmus zur antiviralen medikamentösen Prophylaxe ist in Abbildung 3 dargestellt. In Abhängigkeit klinischer Risikofaktoren kann eine medikamentöse Prophylaxe mit Aciclovir oder Valaciclovir in spezieller klinischer Situation sinnvoll sein (AGIHO: moderate Empfehlung) [4].

Abbildung 3: Empfehlungen zur antiviralen Prophylaxe 
1 individuelle Risikoabschätzung bei Vorliegen von Risikofaktoren: Kopf-Hals Tumor + Radiochemotherapie, Steroide > 10 mg/d länger als 14 Tage, Alter > 60 Jahre, > 1. Therapielinie, Therapie mit Bendamustin, Erhaltungstherapie mit anti-CD20 AK, Anamnese einer febrilen Neutropenie oder HSV/VZV Infektion;
2 Auffrischungen nach Onkopedia Leitlinie Impfungen bei Tumorpatienten beachten;
3 obligat zur Prophylaxe eines Herpes zoster
6.1.4.2Hepatitis B

Patient*innen mit hämatologischen Erkrankungen, insbesondere bei einer Therapie mit CD20-Antikörpern, Anthrazyklinen oder hoch dosierten Steroiden, sollen auf eine frühere Infektion mit Hepatitis B untersucht werden. In Abhängigkeit des Serostatus wird das Vorgehen zur Prophylaxe gewählt [3]. Empfehlungen zum Screening und zur Prophylaxe sind in Abbildung 4 dargestellt.

Abbildung 4: Empfehlungen zum Screening und zur Prophylaxe der Hepatitis B 
6.1.4.3Impfungen

Die Vorbeugung infektiöser Komplikationen ist ein wichtiges Element in der Reduktion von Morbidität und Mortalität von Tumortherapie. Neben Expositionsprophylaxe und medikamentöser Prophylaxe ist die Impfung eine effektive Maßnahme in der Prävention. Die Impfstrategie richtet sich nach dem Ausmaß der Immunsuppression als Folge der Grunderkrankung, der jeweiligen spezifischen Tumortherapie sowie dem aktuellen Impfstatus der Patient*innen [5].

Grundsätzlich sind Impfungen mit Lebend-Vakzinen bei immunsupprimierten Patient*innen zu vermeiden. Eine Impfung mit inaktivierten Vakzinen ist in der Regel sicher möglich. Eine Übersicht über die Empfehlungen zur Impfung von hämatologisch-onkologischen Patient*innen gegen spezielle Erreger gibt Tabelle 9.

Gesondert müssen Patient*innen betrachtet werden, die eine gegen CD20 gerichtete Therapie erhalten. Die resultierende B-Zell Depletion hält mindestens 6 Monate nach Abschluss der Behandlung an. Eine solide B-Zell Funktion ist jedoch zum Aufbau einer adäquaten Impfantwort nötig, deshalb ist kann eine Impfung erst nach Erholung der humoralen Immunantwort sinnvoll sein. Grundsätzlich gilt:

  • Die Impfung von Patient*innen gegen SARS-CoV2 wird definitiv empfohlen.

  • Sämtliche Impfungen sollten jeweils nach individueller Nutzenabwägung durchgeführt werden. Auch Angehörige von Tumorpatient*innen sollten zur Aktualisierung des eigenen Impfschutzes motiviert werden. Die Schutzwirkung durch Herdenimmunität für Tumorerkrankte steht im Vordergrund, sofern Patient*innen selbst nicht geimpft werden können.

Die Evidenzlage zur Durchführung von Impfungen ist unterschiedlich. Empfehlungen sind in Tabelle 9 zusammengefasst.

Tabelle 9: Krankheitsspezifische Impfstrategien 

Erreger

Akute Leukämie

Lymphom, Multiples Myelom, Myeloproliferative Neoplasien

Solide Tumore

Diphterie

B-IIt1

A-IIt

A-IIt

Haemophilus Influenza Typ B

C-IIt

C-IIt

C-IIt

Herpes zoster

-

A-IIt

B-I

Influenza

A-IIt, u

A-IIt

A-IIt

Hepatitis A

B-IIt

B-IIt

B-IIt

Hepatitis B

A-IIt

B-IIt

B-IIt

Masern2

B-IIt

B-IIt

B-IIt

Meningokokken

C-III

C-III

C-III

Mumps2

B-IIt

B-IIt

B-IIt

Pertussis

B-IIt

A-IIt

A-IIt

Pneumokokken

A-IIt

A-IIt

A-IIt

Röteln2

B-IIt

B-IIt

B-IIt

Tetanus

B-IIt1

A-IIt

A-IIt

Varizellen2

C-III

C-III

C-III

SARS-CoV19

B-III

A-IIt

A-IIt

1 Empfehlungsstärke und Evidenzgrad,
2 eine Impfung mit Lebendimpfstoffen gegen MMRV (Masern, Mumps, Röteln, Varizellen) soll nicht durchgeführt werden (D-IIt); die Empfehlung BIIt bezieht sich auf Impfungen nach definitiv abgeschlossener zytoreduktiver Behandlung ODER ggf. Einsatz eines Totimpfstoffes.

6.1.5Febrile Neutropenie

Fieber in der Neutropenie stellt einen wesentlichen Risikofaktor für die Morbidität und Mortalität nach zytoreduktiver Therapie dar und bedingt die unmittelbare Einleitung einer empirischen antibiotischen Therapie. Fieber in der Neutropenie ist ein hämatologischer Notfall [6].

Eine mikrobiologisch gesicherte Infektion ist zum Zeitpunkt des Fiebereintritts praktisch nie vorhanden. Eine gründliche klinische Untersuchung zur Suche nach einem Infektionsherd ist unverzichtbar, um ggf. eine kalkulierte („präemptive“) antimikrobielle Therapie gegen ein typisches Erregerspektrum ausrichten zu können. Findet sich auch hier kein suspekter Befund, handelt es sich um Fieber unklarer Genese (FUO). Dieses wird rein empirisch behandelt [6].

6.1.5.1Diagnostik

Empfehlungen zur gezielten Diagnostik bei Patient*innen mit febriler Neutropenie sind in Tabelle 10 zusammengefasst.

Tabelle 10: Empfehlungen zur Diagnostik bei febriler Neutropenie 

Patient*innen

Ziel

Intervention

SoR1

QoE1

Febrile Neutropenie

Infektfokus identifizieren

Anamnese und körperliche Untersuchung

A

III

Febrile Neutropenie

Sicherung einer Bakteriämie

2 separate Blutkulturen vor Beginn der antimikrobiellen Therapie

A

II

Febrile Neutropenie mit ZVK

Sicherung Venenkatheterinfektion

Blutkultur peripher und zentral entnehmen

A

II

Febrile Neutropenie ohne Atemnot

Sicherung Pneumonie

Röntgen Thorax

D

II

Febrile Neutropenie mit Atemnot

Sicherung Pneumonie

CT Thorax

B

III

Persistierende febrile Neutropenie > 96 h

Sicherung Pneumonie

CT Thorax

B

II

1 SoR =Strength of recommendation; QoE = quality of evidence;
6.1.5.2Risikostratifikation

Der wesentliche Risikofaktor für das Auftreten einer febrilen Neutropenie und die damit verbundenen Komplikationen ist die Dauer der Neutropenie [6]. Eine therapiebedingte Neutropenie bei ambulant versorgten Tumorpatient*innen hält in der Regel nicht länger als 7 Tage an. Diese Patient*innen sind deshalb einem Standardrisiko für das Auftreten einer febrilen Neutropenie zuzuordnen. Weitere Risikofaktoren sind das Alter, der Performance Status, Art und Remissionsstatus der Grunderkrankung, das Ausmaß der Vortherapie und eine Komorbidität (eingeschränkte Funktionen vitaler Organsysteme). Patient*innen, bei denen die Neutropenie länger als sieben Tage zu erwarten ist, gelten als Patient*innen in einem hohen Risiko für eine komplizierte febrile Neutropenie. Dies trifft in der Regel auf Patient*innen mit akuten Leukämien in Induktions- und Konsolidierungstherapien und bei allogener Stammzelltransplantation zu. Das Vorgehen bei febriler Neutropenie in diesem Kollektiv bedingt eine stationäre Versorgung und ist deshalb nicht Gegenstand dieser Leitlinie. Wir verweisen auf die aktuell gültige Leitlinie der AGIHO zur empirischen antimikrobiellen Therapie [6] und auf die spezifischen Empfehlungen beim Verdacht auf Sepsis [7].

Patient*innen, bei denen eine Neutropenie von ≤ als 7 Tagen zu erwarten ist, können unter bestimmten Voraussetzungen auch ambulant und mit oraler empirischer antibiotischer Therapie versorgt werden. Zahlreiche klinische Parameter, die mit einem niedrigen Risiko für febrile Komplikationen assoziiert sind, helfen bei der Einschätzung des wahrscheinlichen Verlaufes einer febrilen Neutropenie, siehe Tabelle 11.

Tabelle 11: Patient*innen mit febriler Neutropenie - niedriges Risiko (Standardrisiko nach MASCC)  

Parameter

Kontrollierte Grunderkrankung

ECOG Status 0 oder 1

Milde Krankheitssymptomatik

Ambulante Patient*innen

Temperatur < 39°C

Unauffälliger Röntgen Thorax

Atemfrequenz < 24/min

Keine COPD

Kein Diabetes mellitus

Unauffälliger neurologischer Status

Kein Blutverlust

Keine Dehydrierung

Keine vorausgegangene Pilzinfektion

Albumin normwertig

Die Multinational Association of Supportive Care in Cancer (MASCC) hat auf der Basis individueller Faktoren einen Risiko-Score etabliert [8], siehe Tabelle 12.

Tabelle 12: MASCC Score bei febriler Neutropenie  

Charakteristikum

Gewicht

Febrile Neutropenie mit keiner oder geringer Symptomatik

5

Keine Hypotonie (systolischer Blutdruck >90 mmHg)

5

Keine chronisch obstruktive Lungenerkrankung

4

Solider Tumor oder hämatologische Neoplasie ohne vorhergehende Pilzinfektion

4

Keine Dehydration, keine Indikation zur parenteralen Substitution von Flüssigkeit

3

Febrile Neutropenie mit moderater Symptomatik

3

Ambulante Patient*innen

3

Alter <60 Jahre

2

Der maximale Punkte-Score liegt bei 26. Die Validierung des Scores ergab, dass Patient*innen mit einem Score von über 20 (73% der Gesamtgruppe) einem Niedrig-/Standardrisiko-Kollektiv zugeordnet werden können. Die Rate an Komplikationen lag bei 6%, die Todesfallrate bei 1%. Patient*innen mit einem Score von <21 (27% der Gesamtgruppe) hatten zu 39% eine komplizierte FN und eine Todesfallrate von 14%. Diese Patient*innen haben somit ein hohes Risiko für ein ungünstigen Verlauf einer FN.

6.1.5.3Therapie der febrilen Neutropenie bei Standardrisiko auf der Basis des MASCC Scores

Der MASCC Score identifiziert somit mit Hilfe einfacher klinischer Parameter Patient*innen mit einem geringen Risiko für eine komplizierte FN. Eine ambulante Versorgung kann deshalb angestrebt werden. Hierzu müssen jedoch noch weitere Faktoren zur Beschreibung des sozialen Umfeldes und der Compliance geprüft werden, die eine elementare Rolle für eine sichere ambulante Versorgung der febrilen Patientinnen spielen. Diese werden anhand einer weiteren Risiko–Checkliste geprüft, siehe Tabelle 13.

Tabelle 13: Risiko-Checkliste zur Abschätzung einer möglichen ambulanten Therapie bei febriler Neutropenie 

Parameter

Medizinische Versorgung ist gewährleistet

Patient*innen sind nicht allein und telefonisch erreichbar

Klinik mit hämatologisch-onkologischer Kompetenz in 1 Stunde erreichbar

Orale Medikation mit hoher Compliance sicher durchführbar

Patient*innen sind bei vollem Bewusstsein und verstehen die klinische Situation

Keine Prophylaxe mit Fluorochinolonen durchgeführt

Stabiler Kreislauf gewährleistet

Keine Zeichen eines Organversagens

Das konsequente Abfragen und Bewerten des Risikos führt zu einem Algorithmus für die Identifikation von Patient*innen mit febriler Neutropenie, die einer ambulante Therapie zugeführt werden können, siehe Abbildung 5.

Abbildung 5: Algorithmus zur ambulanten Behandlung von Patient*innen mit febriler Neutropenie 

7[Kapitel nicht relevant]

8[Kapitel nicht relevant]

9Literatur

  1. Classen AY, Henze L, von Lilienfeld-Toal M et al. Primary prophylaxis of bacterial infections and Pneumocystis jirovecii pneumonia in patients with hematologic malignancies and solid tumors: 2020 updated guidelines of the Infectious Diseases Working Party of the German Society of Hematology and Medical Oncology (AGIHO/DGHO). Ann Hematol 2021 Jun; 100(6): 1603 -1620

  2. Pyle RC et al., Successful outpatient graded administration of trimethoprim-sulfamethoxazole in patients without HIV and with a history of sulfonamide adverse drug reaction. J Allergy Clin Immunol Pract 2014 2(1): 52 – 8

  3. Sandherr M, Hentrich M, von Lilienfeld-Toal M, et al. Antiviral prophylaxis in patients with solid tumours and haematological malignancies—update of the Guidelines of the Infectious Diseases Working Party (AGIHO) of the German Society for Hematology and Medical Oncology (DGHO). Ann Hematol 94:1441–1450, 2015. DOI:10.1007/s00277-015-2447-3

  4. Henze L, Buhl C, Sandherr M et al. Management of herpesvirus reactivations in patients with solid tumours and hematologic malignancies: update of the Guidelines of the Infectious Diseases Working Party (AGIHO) of the German Society for Hematology and medical Oncology (DGHO) on herpes simplex virus type 1, herpes simplex type 2, and varicella zoster virus. Ann Hematol. 2022 Jan 7. DOI:10.1007/s00277-021-04746-y (Online ahead of print).

  5. Rieger CT, Liss B, Mellinghoff S, et al. Anti-infective vaccination strategies in patients with hematologic malignancies or solid tumors-Guideline of the Infectious Diseases Working Party (AGIHO) of the German Society for Hematology and Medical Oncology (DGHO). Ann Oncol 29:1354–1365, 2018. DOI:10.1093/annonc/mdy117

  6. Heinz WJ, Buchheidt D, Christopeit M, et al. Diagnosis and empirical treatment of fever of unknown origin (FUO) in adult neutropenic patients: guidelines of the Infectious Diseases Working Party (AGIHO) of the German Society of Hematology and Medical Oncology (DGHO). Ann Hematol 96:1775-1792, 2017. DOI:10.1007/s00277-017-3098-3

  7. Kochanek et al.: Management of sepsis in neutropenic patients: 2018 guidelines from the Infectious Diseases Working Party of the German Society of Hematology and Medical Oncology (AGIHO). Ann Hematol Feb 22, 2019. DOI:10.1007/s00277-014-2086-0, DOI:10.1007/s00277-019-03622-0

  8. Klastersky J, Paesmans M, Rubenstein EB, et al. The Multinational Association for Supportive Care in Cancer risk index. J Clin Oncol 18:3038–3051, 2000. DOI:10.1200/JCO.2000.18.16.3038

10[Kapitel nicht relevant]

11[Kapitel nicht relevant]

12[Kapitel nicht relevant]

13[Kapitel nicht relevant]

14[Kapitel nicht relevant]

15Anschriften der Verfasser

Prof. Dr. med. Georg Maschmeyer
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie
und Medizinische Onkologie (DGHO)
Onkopedia-Koordinator
Bauhofstr. 12
10117 Berlin
Prof. Dr. med. Christina Rieger
Hämatologie Onkologie Germering
Landsberger Str. 27
82110 Germering
PD Dr. med. Michael Sandherr
MVZ Penzberg
Schwerpunktpraxis für Hämatologie und Onkologie
Filialpraxis Weilheim
Röntgenstr. 4
82362 Weilheim

16Erklärung zu möglichen Interessenkonflikten

Autor*in Anstellung1 Beratung / Gutachten2 Aktien / Fonds3 Patent / Urheberrecht / Lizenz4 Honorare5 Finanzierung wissenschaftlicher Untersuchungen6 Andere finanzielle Beziehungen7 Persönliche Beziehung zu Vertretungsberechtigten8
Maschmeyer, Georg
Charité Universitätsmedizin Berlin Klinikum Ernst von Bergmann gGmbH Potsdam Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO)
Nein
Nein
Nein
Ja
Vortragshonorare (Infektionen): Gilead Sciences GmbH Honorare für Stellungnahmen im Rahmen von Nutzenbewertungsverfahren für die AKdÄ Honorare für Beiträge zur Zeitschrift Best Practice Onkologie
Nein
Nein
Nein
Rieger, Christina
ich bin selbständig tätig in: Hämatologie Onkologie Germering Landsberger Straße 27 82110 Germering
Ja
Janssen Cilag AbbVie Glaxo Smith Cline Astra Zeneca
Nein
Nein
Ja
Astra Zeneca Pfizer International
Nein
Nein
Nein
Sandherr, Michael
MVZ Penzberg, Starnberger Kliniken GmbH
Ja
Roche, BMS, Lilly, BeiGene, Sanofi, Gilead
Nein
Nein
Ja
Roche, BMS, Lilly, BeiGene, Sanofi, Gilead, Novartis, Astra Zeneca
Nein
Nein
Nein
1 - Gegenwärtiger Arbeitgeber, relevante frühere Arbeitgeber der letzten 3 Jahre (Institution/Ort)
2 - Tätigkeit als Berater*in bzw. Gutachter*in oder bezahlte Mitarbeit in einem wissenschaftlichen Beirat / Advisory Board eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft (z. B. Arzneimittelindustrie, Medizinproduktindustrie), eines kommerziell orientierten Auftragsinstituts oder einer Versicherung
3 - Besitz von Geschäftsanteilen, Aktien, Fonds mit Beteiligung von Unternehmen der Gesundheitswirtschaft
4 - Betrifft Arzneimittel und Medizinprodukte
5 - Honorare für Vortrags- und Schulungstätigkeiten oder bezahlte Autor*innen oder Koautor*innenschaften im Auftrag eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft, eines kommerziell orientierten Auftragsinstituts oder einer Versicherung
6 - Finanzielle Zuwendungen (Drittmittel) für Forschungsvorhaben oder direkte Finanzierung von Mitarbeiter*innen der Einrichtung von Seiten eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft, eines kommerziell orientierten Auftrags-instituts oder einer Versicherung
7 - Andere finanzielle Beziehungen, z. B. Geschenke, Reisekostenerstattungen, oder andere Zahlungen über 100 Euro außerhalb von Forschungsprojekten, wenn sie von einer Körperschaft gezahlt wurden, die eine Investition im Gegenstand der Untersuchung, eine Lizenz oder ein sonstiges kommerzielles Interesse am Gegenstand der Untersuchung hat
8 - Persönliche Beziehung zu einem/einer Vertretungsberechtigten eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft

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