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Inhaltsverzeichnis

Akute Myeloische Leukämie (AML)

ICD-10 C92.0, C92.5, C92.6, C92.7, C92.8, C92.9, C93.0
Stand September 2022
Dies ist nicht die aktuelle Version. Siehe: Akute Myeloische Leukämie (AML)

1Zusammenfassung

Die Akute Myeloische Leukämie (AML) ist eine biologisch heterogene Erkrankung, die unbehandelt in kurzer Zeit zum Tod führt. Die Inzidenz steigt mit dem Alter an. Die Unterteilung der AML erfolgt nach der WHO-Klassifikation anhand zytomorphologischer, zytogenetischer und molekulargenetischer Charakteristika. Therapieentscheidungen werden nach Krankheitsbiologie, Komorbidität und den Therapiezielen des einzelnen Patient*innen ausgerichtet. Der Therapieanspruch ist bei jüngeren und bei älteren fitten Patient*innen kurativ.

2Grundlagen

2.1Definition und Basisinformation

Die Akute Myeloische Leukämie (AML) ist eine Neoplasie der Myelopoese mit variabler Beteiligung myeloischer Zelllinien.

Vor der Verfügbarkeit wirksamer Arzneimittel führte der natürliche Verlauf der AML 5 Monate nach den ersten Symptomen bei der Hälfte der Patient*innen und innerhalb eines Jahres bei allen Patient*innen zum Tode [78].

Erst nach Einführung von Daunorubicin und Cytarabin wurden komplette Remissionen und Langzeiterfolge erreicht [21]. Die Prognose der AML hat sich seit den 70er Jahren stetig verbessert. Dies wurde in zwei registerbasierten Studien aus den USA und Großbritannien nachgewiesen. Dabei haben von therapeutischen Fortschritten vor allem junge Patient*innen profitiert, während die Prognose der über 70- bis 75-jährigen älteren Patient*innen unverändert schlecht blieb [7682].

2.2Epidemiologie

Die Häufigkeit beträgt etwa 3,7 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr und steigt mit dem Alter an mit altersspezifischen Inzidenzen von über 100 Fällen pro 100.000 Einwohner bei Patient*innen im Alter über 70 Jahre. Der Altersmedian lag in einem schwedischen Register erwachsener Patient*innen bei 72 Jahren [36].

2.3Pathophysiologie

Ursprung ist die pathologische Proliferation klonaler myeloischer Zellen, die immunphänotypisch meist dem hochproliferativen Progenitorpool (d. h. CD34+/CD38+) oder seltener dem Stammzellpool (d. h. CD34+/CD38-) angehören. Dieser proliferierende Klon überwächst das gesunde Knochenmark und führt zur Depletion der gesunden Hämatopoese mit den daraus resultierenden klinischen Konsequenzen einer Granulozytopenie (Infektionen, Sepsis), Thrombozytopenie (Blutungen) und Anämie (Dyspnoe, Leistungsminderung). Mit Beginn der zytogenetischen Diagnostik in den 1980er Jahren wurde klar, dass – im Gegensatz zur CML – ganz verschiedene zytogenetische Aberrationen beobachtet werden können. Neben Gentranslokationen wie den Translokationen t(8;21), t(15;17) oder der Inversion inv(16) fanden sich auch numerische Veränderungen wie Trisomie 8, Monosomie 7 oder komplexe Veränderungen mit mehr als drei rekurrenten chromosomalen Aberrationen in einem Klon. Später konnte gezeigt werden, dass diesen Veränderungen eine sehr wichtige prognostische Rolle zukommt (siehe Kapitel 5.4). Durch die Einführung moderner molekularer Techniken, besonders des Next Generation Sequencing (NGS), wurde offenbar, dass auch innerhalb einzelner Patient*innen die Erkrankung aus genetisch verschiedenen Subklonen bestehen und der Anteil der verschiedenen Klone sich über den Krankheitsverlauf ändern kann (klonale Diversifikation/Evolution). Bei der NGS-Analyse von 200 AML-Patient*innen wurden pro Patient im Durchschnitt 5 rekurrente Veränderungen nachgewiesen; die häufigsten Mutationen fanden sich in den bekannten Genen FLT3, NPM1, DNMT3A sowie IDH1 oder IDH2, die jeweils in mindestens 20% der Patient*innen mutiert waren. Annähernd alle Patient*innen wiesen mindestens eine Mutation in einer von 9 für die Transformation kritischen, funktionellen Gruppen auf. Diese Veränderungen können in neun Klassen eingeteilt werden:

  1. aktivierende Mutationen der Signaltransduktion (FLT3, KIT, KRAS, NRAS u.a.)

  2. Mutationen von myeloischen Transkriptionsfaktoren (RUNX1, CEBPA u.a.)

  3. Fusionen von Transkriptionsfaktor-Genen (PML-RARA, MYH11-CBFB u.a.)

  4. Mutationen von Chromatin-Modifikatoren (MLL-PTD, ASXL1 u.a.)

  5. Mutationen im Kohesin-Komplex (SMC1S u.a.)

  6. Spliceosomen-Mutationen

  7. Mutationen in Tumorsuppressorgenen (TP53, WT1 u.a.)

  8. NPM1-Mutationen

  9. Mutationen in Genen der DNA-Methylierung (TET1, TET2, IDH1, IDH2, DNMT3B, DNMT1, DNMT3A)

Weitergehende Untersuchungen zeigten, dass bei etwa 50% der Patient*innen neben dem dominanten Hauptklon mindestens ein weiterer Subklon nachweisbar war; bei einzelnen Patient*innen waren bis zu drei zusätzliche Leukämieklone vorhanden. Diese klonale Heterogenität könnte eine wesentliche Bedeutung für das Therapieansprechen bzw. für die Entwicklung eines Rezidivs haben [60].

2.4Risikofaktoren

Ursachen sind Exposition gegenüber radioaktiver Strahlung (nach japanischen Daten von Überlebenden der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki), Benzolen, Tabak, Mineralölprodukten, Farben, Äthylenoxyden, Herbiziden und Pestiziden. Radiotherapie und Zytostatika zählen zu den Verursachern, typischerweise Alkylanzien mit einem Auftreten der Leukämie 4-6 Jahre nach Anwendung und Aberrationen an den Chromosomen 5 und/oder 7, sowie Topoisomerase II-Hemmer (Anthrazykline, Anthrachinone, Epipodophylotoxine) mit einem Leukämie-Beginn 1-3 Jahre nach Exposition und häufig assoziierten Chromosomenaberrationen von Chromosom 11 Bande q23 aber auch der balancierten Translokation t(1,17). Jüngeres Alter zum Zeitpunkt der Diagnose des Primärtumors, Therapie mit interkalierenden Substanzen (Anthrazyline, Anthrachinone) sowie Topoisomerase-II-Inhibitoren waren in einer großen Metaanalyse mit einem kurzen Latenzzeitraum bis zum Auftreten einer sekundären AML vergesellschaftet [42]. In einer großen Metaanalyse aus 23 epidemiologischen Studien mit 7.746 AML-Fällen wurde ein klarer Zusammenhang zwischen dem Rauchen und der AML-Entstehung belegt. Das AML-Risiko ist bei aktiven Rauchern um 40% und bei ehemaligen Rauchern um 25% gegenüber Nichtrauchern erhöht (p<0,001), korreliert darüber hinaus mit der Zigarettenmenge und betrifft beide Geschlechter gleichermaßen [32].

Die AML hat nicht selten einen Zusammenhang mit myelodysplastischen Syndromen (MDS), etwa durch ein MDS in der Vorgeschichte oder MDS-typische Morphologie bzw. Zytogenetik [86]. Insbesondere Patient*innen in den genetisch definierten Subgruppen mit Chromatin-Spliceosomen-Mutationen haben häufiger ein MDS in der Vorgeschichte bzw. typische morphologische Veränderungen [70].

Altersassoziierte klonale Hämatopoese von unbestimmtem Potenzial (age-related clonal hematopoiesis, ARCH/clonal hematopoiesis of indeterminate potential, CHIP) stellt einen Risikofaktor für die Entwicklung einer AML dar. Mutationen in den folgenden Genen wurden häufiger in CHIP Trägern gefunden, die später eine AML entwickelten als in CHIP Trägern, die keine AML entwickelten: DNMT3A, TET2, SRSF2, ASXL1, TP53, U2AF1, JAK2, RUNX1 und IDH2 [1]. Ebenso ist eine höhere variante Allelfrequenz und eine höhere Zahl von CHIP Mutationen mit einem höheren Risiko verbunden, eine AML zu entwickeln. Je nach Konstellation erhöht sich das 10-Jahres-AML-Risiko um das 2-12.5-fache [1]. Bei familiärer Häufung myeloischer Neoplasien, suggestiven zytogenetischen Befunden oder Mutationen suggestiver Gene (z.B. CEBPA oder RUNX1) sollte eine familiäre Keimbahnmutation als Ursache der AML evaluiert werden [22].

3Vorbeugung und Früherkennung

Es gibt keine Evidenz für wirksame Maßnahmen zur Vorbeugung und Früherkennung.

4Klinisches Bild

4.1Symptome

Das klinische Erscheinungsbild der AML ist bestimmt durch die zunehmende hämatopoetische Insuffizienz infolge der blastären Knochenmarkinfiltration sowie durch unspezifische Allgemeinsymptome.

Häufig sind die Symptome zuerst unspezifisch und erweisen sich im weiteren Verlauf als Ausdruck der Anämie (Müdigkeit, verminderte Leistungsfähigkeit, Blässe etc.), der Neutropenie (insbesondere bakterielle Infektionen der Lunge, des Rachens und der Haut sowie systemische Mykosen) und der Thrombozytopenie (Petechien, Ekchymosen, Menorrhagien oder Epistaxis). Eine vermehrte Blutungsneigung ist aber auch durch eine disseminierte intravasale Gerinnung und Hyperfibrinolyse möglich. Im Blut finden sich bei etwa 60% der Patient*innen eine Leukozytose, und unabhängig von der Leukozytenzahl leukämische Blasten. Übersteigt die Leukozytose einen Wert von ca. 100.000/µl, besteht die Gefahr der Leukostase mit Hypoxie, pulmonalen Verschattungen, retinalen Einblutungen und neurologischen Symptomen. Die Leukostase stellt einen hämatologischen Notfall dar und erfordert eine rasche Senkung der peripheren Leukozytenzahl durch Chemotherapie und in Ausnahmefällen durch die Kombination von Chemotherapie und Leukapherese. Seltener sind aleukämische Verläufe mit normaler oder sogar erniedrigter Leukozytenzahl zu beobachten. Diese finden sich gehäuft bei der sekundären oder therapieassoziierten AML und bei älteren Patient*innen. Bei der myelomonozytär/monoblastär differenzierten AML werden überdurchschnittlich häufig extramedulläre Manifestationen wie Hautinfiltrate, Meningeosis leukaemica, Gingivahyperplasie und Infiltration von Milz und Leber beobachtet.

5Diagnose

Beispiele der mikroskopischen Diagnostik finden Sie unter eLearning Curriculum Hämatologie (eLCH), https://ehaematology.com/.

5.1[Kapitel nicht relevant]

5.2Diagnostik

5.2.1Erstdiagnose

Krankheitsdefinierend ist ein Blastenanteil von ≥20% im peripheren Blut oder im Knochenmark oder in anderen Geweben (Myelosarkom), bzw. der Nachweis der AML-definierenden genetischen Aberrationen t(8;21)(q22;q22.1) RUNX1-RUNX1T1, inv(16)/t(16;16)(p13.1;1q22) CBFB-MYH11 oder t(15;17)(q22;q12) PML-RARA, siehe WHO-Klassifikation [4]. Untersuchungen zur Sicherung der Diagnose sowie ergänzende Untersuchungen zur Erfassung des Gesundheitszustands und zur Planung der Therapie sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Tabelle 1: Diagnostik bei Verdacht auf Akute Myeloische Leukämie 

Ziel

Untersuchung

Diagnosesicherung

Anamnese und körperlicher Untersuchungsbefund

Blutbild und Differenzialblutbild

Knochenmarkzytologie und –zytochemie

Knochenmarkbiopsie (zwingend notwendig bei Punctio sicca)

Immunphänotypisierung (u.a. CD33 auf Blasten, CD4, CD56, CD123 und TCL1 zur Differenzierung einer BPDCN; MPO zu Linienzugehörigkeit)

Zytogenetik

FISH; wenn die zytogenetische Analyse nicht erfolgreich ist: Nachweis von Translokationen wie RUNX1-RUNX1T1, CBFB-MYH11, KMT2A (MLL) und EVI1; oder Verlust von Chromosom 5q, 7q oder 17p

Molekulargenetik (mindestens folgende Mutationen)

  • NPM1

  • CEBPA

  • RUNX1

  • FLT3 (interne Tandemduplikationen (ITD), Mutant-Wildtyp-Quotient)

  • FLT3 TKD (Kodon D835 und I836)

  • IDH1

  • IDH2

  • TP53

  • ASXL1

Molekulargenetik (Translokationen)

  • PML-RARA

  • CBFB-MYH11

  • RUNX1-RUNX1T1

  • BCR-ABL1

  • KMT2A- (MLL-) Fusionen

  • DEK-NUP214

  • GATA2 MECOM

  • RBM15-MKL1

Ergänzende Untersuchungen/Maßnahmen

Allgemeinzustand (ECOG/WHO Score)

Evaluierung der Komorbiditäten (z.B. HCT-CI Score)

Klinische Chemie, Gerinnung, Urinanalyse

Schwangerschaftstest

Genpanel Sequenzierung (bei klinischen Konsequenzen)

HLA-Typisierung (ggf. auch der Geschwister, Eltern, Kinder) + CMV Status (bei für die allogene Stammzelltransplantation geeigneten Patient*innen)

Hepatitis- und HIV-Serologie

Röntgen-Thorax

EKG

Herz-Echo, Lungenfunktion

Symptombezogene Zusatzdiagnostik: CT Thorax, Abdomen-Sonografie

5.2.2Krankheitsverlauf

Folgende Remissionskriterien gelten:

Komplette Remission

Morphologische komplette Remission (CR)

  • Blasten im Knochenmark <5%

  • Abwesenheit von Auerstäbchen und extramedullären Manifestationen

  • Neutrophile ≥1000/µl und Thrombozyten ≥100.000/µl

  • keine Blasten im peripheren Blut

Morphologische komplette Remission mit inkompletter hämatologischer Regeneration (CRi)

  • Blasten in Knochenmark <5%

  • Abwesenheit von Auerstäbchen und extramedullären Manifestationen

  • Nur einer der folgenden Parameter trifft zu: Neutrophile ≥1000/µl oder Thrombozyten ≥100.000/µl

  • keine Blasten im peripheren Blut

Zytogenetische komplette Remission (CRc)

  • CR mit Abwesenheit einer bei Erstdiagnose nachweisbaren zytogenetischen Veränderung

Molekulare komplette Remission (CRm)

  • CR mit Abwesenheit einer bei Erstdiagnose nachweisbaren molekularen Veränderung

Komplette Remission mit partieller hämatologischer Regeneration (CRh)

  • Blasten in Knochenmark <5%

  • Abwesenheit von Auerstäbchen und extramedullären Manifestationen

  • Neutrophile ≥500/µl und Thrombozyten ≥50.000/µl

  • keine Blasten im peripheren Blut

Diese Remissionskategorie beschreibt einen Zustand der morphologischen Leukämiefreiheit ohne adäquate Blutbildregeneration und füllt damit eine Lücke zwischen morphologischer Leukämiefreiheit (MLFS) und CR mit inkompletter Regeneration der Neutrophilen bzw. der Thrombozyten (CRi). Die CRh-Kategorie trägt der Tatsache Rechnung, dass bei adäquatem Ansprechen die Prognose eher durch eine Fortsetzung der Therapie vor Erreichen einer vollen CR als durch eine regenerationsbedingte Verzögerung günstig beeinflusst werden kann [8].

Morphologisch leukämiefreier Zustand (MLFS):

  • Blasten in Knochenmark <5%

  • Abwesenheit von Auerstäbchen und extramedullären Manifestationen

  • keine Blasten im peripheren Blut

  • Neutrophile <500/µl UND Thrombozyten <50.000/µl

Retrospektive Analysen deuten eine unterschiedliche prognostische Wertigkeit der verschiedenen CR-Qualitäten an. Demnach sind CRi/CRp/CRh mit einer schlechteren Prognose allsoziiert als CR/CRc/m, während MLFS lediglich ein Ansprechen auf eine vorangegangene Chemotherapie anzeigt.

Partielle Remission (PR)

  • Reduktion der Blasten im Knochenmark auf 5-25% UND Abfall der Blasten um mindestens 50% im Vergleich zum Diagnosezeitpunkt

  • Neutrophile ≥1000/µl und Thrombozyten ≥100.000/µl

  • keine Blasten im peripheren Blut

Rezidiv nach CR

  • Anstieg der Blasten im Knochenmark auf ≥5% oder Blasten im peripheren Blut, die nicht mit reaktiver Blutbildregeneration erklärbar sind oder

  • extramedulläre AML-Manifestation

5.3Klassifikation

5.3.1Übersicht

Das verbesserte Verständnis der molekularen Pathogenese der AML spiegelt sich in der aktuellen WHO Klassifikation wider, in die mehrere balancierte Translokationen bzw. Inversionen als eigene Entitäten [t(15;17), t(8;21), inv(16), t(9;11), inv(3)/t(3;3), t(6;9), t(1;22)] sowie zwei molekulargenetisch definierte Entitäten (AML mit NPM1 Mutation und AML mit doppelt mutierter CEBPA Mutation) und eine vorläufige molekular definierte Entität (RUNX1-Mutation) aufgenommen wurden. Eine weitere Subgruppe der AML ist über genetische Veränderungen definiert. Dabei handelt es sich um die AML mit Myelodysplasie-assoziierten zytogenetischen Veränderungen, die eine ganze Reihe von unbalancierten und balancierten Aberrationen umfasst (siehe 5.3.1). Insgesamt sind, basierend auf dieser Einteilung, mittlerweile weit über 50% der Patient*innen mit AML durch zytogenetische und molekulargenetische Charakteristika klassifizierbar. Damit bietet die neue Klassifikation im Vergleich zu den bisher verwendeten, vorwiegend morphologischen Kriterien der FAB-Klassifikation [4] einen deutlichen Fortschritt an Objektivität und Reproduzierbarkeit, siehe Tabelle 2.

5.3.2AML mit Myelodysplasie-assoziierten Veränderungen (Myelodyplasia Related Changes, MRC)

Grund der Erstellung dieser WHO-Subgruppe war die von anderen AMLs verschiedene Prognose, die sich durch die biologische Nähe zu AMLs auf dem Boden eines vorbestehenden MDS erklären ließ. Die diagnostischen Kriterien dieser Subgruppe sind komplex und waren bislang ohne unmittelbare therapeutische Konsequenz. Bei der Zulassung von CPX-351 verknüpften FDA und EMA jedoch das Indikationsgebiet für die Substanz mit dem Vorliegen einer AML-MRC nach WHO, um das heterogene Patientenkollektiv der Zulassungsstudie einer standardisierten Diagnosegruppe zuzuordnen. Damit ergeben sich aus der Kenntnis der MRC-Subgruppe nach Zulassung von CPX-351 durch die EMA unmittelbare therapeutische Konsequenzen, da entsprechende Patient*innen mit der Substanz behandelt werden können.

Eine AML-MRC nach WHO liegt bei ≥20% Myeloblasten in KM oder PB vor, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:

  • MDS oder MDS/MPN im Vorverlauf

  • Myelodysplasie-assoziierte zytogenetische Veränderungen (s.u.)

  • Multilineäre Dysplasie im KM bei AML-Erstdiagnose (≥ 50% Dysplasien in ≥ 2 hämatopoetischen Reihen) in Abwesenheit genetischer Marker aus der WHO-Entität „Acute Myeloid Leukemia with recurrent genetic aberrations“

Folgende zytogenetische Veränderungen gelten laut WHO als Myelodysplasie-assoziiert:

  • Komplexer Karyotyp (definiert als 3 oder mehr chromosomale Aberrationen ohne gleichzeitiges Vorliegen einer der genetischen Marker aus der WHO-Entität „Acute Myeloid Leukemia with recurrent genetic aberrations“)

  • Unbalancierte Aberrationen: -7 or del(7q); -5 or del(5q); i(17q) or t(17p); -13 or del(13q); del(11q); del(12p) or t(12p); idic(X)(q13)

  • Balancierte Aberrationen: t(11;16) (q23.3;p13.3); t(3;21)(q26.2;q22.1); t(1;3) (p36.3;q21.2); t(2;11)(p21;q23.3); t(5;12) (q32;p13.2); t(5;7)(q32;q11.2); t(5;17) (q32;p13.2); t(5;10)(q32;q21.2); t(3;5) (q25.3;q35.1)

5.3.3Therapieassoziierte myeloide Neoplasien (Therapy-related myeloid neoplasia, tAML)

Die WHO definiert jede myeloische Neoplasie, die nach vorangegangener zytotoxischer Therapie aufgetreten ist, als therapieassoziiert [4]. Dabei gibt es keine Einschränkungen zu eingesetzten Substanzen bzw. Bestrahlungsmodalitäten und –dosen und keine Definition für die zeitliche Abfolge der AML auf die zurückliegende Therapie. Die Aufteilung in „alkylating agent related“ und „topoisomerase II-inhibtor related“ entfiel bereits in der WHO-2008-Klassifikation. Wie die AML-MRC hat auch die Subgruppe der tAML durch die Definition in der Zulassung von CPX-351 durch FDA und EMA eine therapeutische Implikation.

Darüber hinaus konnten bei zahlreichen Patient*innen mit tAML Keimbahnveränderungen nachgewiesen werden, die mit der Entstehung von bösartigen Erkrankungen assoziiert sind. Deshalb ist insbesondere bei diesen Patient*innen eine ausführliche Familienanamnese wichtig.

Tabelle 2: WHO Klassifikation der AML [4] 

Subgruppe

Spezifikation

Acute Myeloid Leukemia with recurrent genetic aberrations

AML with t(8;21)(q22;q22); RUNX1-RUNX1T1

AML with inv(16)(p13.1q22) or t(16;16)(p13.1;q22); CBFB-MYH11

APL with t(15;17)(q22;q12); PML-RARA

AML with t(9;11)(p22;q23); MLLT3-KMT2A

AML with t(6;9)(p23;q34); DEK-NUP214

AML with inv(3)(q21q26.2) or t(3;3)(q21;q26.2); GATA2, MECOM

AML (megakaryoblastic) with t(1;22)(p13;q13); RBM15-MKL1

Provisional entity: AML with BCR-ABL1

AML with mutated NPM1

AML with biallelic mutations of CEBPA

Provisional entity: AML with mutated RUNX1

Acute myeloid leukemia with myelodysplasia-related changes

siehe Kapitel 5. 3. 1.

Therapy-related myeloid neoplasms

siehe Kapitel 5. 3. 2.

Acute myeloid leukemia, not otherwise specified (NOS)

Acute myeloid leukemia with minimal differentiation

Acute myeloid leukemia without maturation

Acute myeloid leukemia with maturation

Acute myelomonocytic leukemia

Acute monoblastic/monocytic leukemia

Pure erythroid leukemia

Erythroleukemia, erythroid/myeloid

Acute megakaryoblastic leukemia

Acute basophilic leukemia

Acute panmyelosis with myelofibrosis (syn.: acute myelofibrosis; acute myelosclerosis)

Myeloid sarcoma

Blastic plasmacytoid dendritic neoplasm

Myeloid proliferations related to Down-syndrome

Myeloid leukemia associated with Down syndrome

Transient abnormal myelopoiesis (syn.: transient myeloproliferative disorder)

Acute leukemias of ambiguous lineage

Acute undifferentiated leukemia

Mixed phenotype acute leukemia with t(9;22)(q34;q11.2); BCR-ABL1

Mixed phenotype acute leukemia with t(v;11q23); MLL rearranged/KMT2A

Mixed phenotype acute leukemia, B/myeloid, NOS

Mixed phenotype acute leukemia, T/myeloid, NOS

5.4Prognostische Faktoren

Den stärksten Einfluss auf die Prognose haben Alter und molekulare bzw. zytogenetische Veränderungen. Mit steigendem Alter sinkt die Chance des Erreichens einer kompletten Remission, gleichzeitig steigt das Rezidivrisiko. Im schwedischen Register (Erstdiagnosedatum von 1997 bis 2006) lagen die 5-Jahres-Überlebensraten bei Patient*innen unter 30 Jahren bei 60%, bei Patient*innen zwischen 45 und 54 Jahren bei 43%, zwischen 55 und 64 Jahren bei 23% und sanken im höheren Alter weiter ab [29]. Die molekular-zytogenetischen Veränderungen bei Erstdiagnose werden nach der ELN-Klassifikation von 2017 in drei Gruppen eingeteilt [22], siehe Tabelle 3. Allerdings wird die prognostische Wertigkeit der FLT3-ITD Mutant-Wildtyp-Ratio kontrovers diskutiert, insbesondere seit FLT3-Inhibitoren therapeutisch verfügbar sind, siehe Kapitel 6. 1. 1. 1. 2. 1. Kontrovers zur ELN-Risikogruppen werden ungünstige genetische Veränderungen bei gleichzeitiger Anwesenheit einer NPM1-Mutation als ungünstig eingruppiert [2].

Tabelle 3: Molekular-zytogenetische Risikogruppen gemäß der Klassifikation des European LeukemiaNet ELN [27] 

ELN Risikogruppe

Aberrationen

Günstig

t(8;21)(q22;q22); RUNX1-RUNX1T1

inv(16)(p13.1q22) oder t(16;16)(p13.1;q22); CBFB-MYH11

Mutiertes NPM1 ohne FLT3-ITD oder mit FLT3-ITDniedrig*

Biallelisch mutiertes CEBPA

Intermediär

Mutiertes NPM1 mit FLT3-ITDhoch*

Wildtyp-NPM1 ohne FLT3-ITD oder mit FLT3-ITDniedrig* (ohne ungünstige genetische Aberrationen)

t(9;11)(p22;q23); MLLT3-KMT2A§

Zytogenetische Aberrationen, die nicht als günstig oder ungünstig eingestuft wurden

Ungünstig

t(6;9)(p23;q34); DEK-NUP214

t(v;11)(v;q23); KMT2A-Genumlagerung

t(9;22)(q34.1;q11.2); BCR-ABL1

inv(3)(q21q26.2) oder t(3;3)(q21;q26.2); GATA2, MECOM (EVI1)

-5 oder del(5q); -7; -17/abnl(17p)

komplexer Karyotyp (≥3 Aberrationen)

monosomaler Karyotyp (eine Monosomie, assoziiert mit mindestens einer weiteren Monosomie oder einer anderen strukturellen, chromosomalen Aberration (außer CBF-AML))

Wildtyp-NPM1 mit FLT3-ITDhoch*

Mutiertes RUNX1

Mutiertes ASXL1

Mutiertes TP53

* FLT3-ITDniedrig = Mutant-Wildtyp-Allel-Quotient <0,5; FLT3-ITDhoch = Mutant-Wildtyp-Allel-Quotient ≥0,5. Bestimmung über semi-quantitative Messung des FLT3-ITD Allel-Quotienten mittels DNA-Fragment-Analyse als Quotient der AUC für FLT3-ITD dividiert durch die AUC für FLT3-Wildtyp
§ in Anwesenheit seltenerer als ungünstig eingestufter Aberrationen „sticht“ die t(9;11), d.h. sie gibt den Ausschlag für eine Einstufung in die intermediäre Risikogruppe
nur zutreffend, wenn nicht gleichzeitig eine der WHO-definierten AML-typischen Aberrationen vorliegt (d.h. t(8;21), inv(16) oder t(16;16), t(9;11), t(v;11)(v;q23.3), t(6;9), inv(3) or t(3;3); AML mit BCR-ABL1).
nur als ungünstig einzustufen, wenn keine als günstig eingestuften Aberrationen vorliegen, d.h. in Anwesenheit günstiger Veränderungen geben diese den Ausschlag für eine Einstufung in die günstige Risikogruppe

Weitere Risikofaktoren sind eine hohe LDH und Leukozytenzahl bei Erstdiagnose

Eine Sonderstellung nimmt die Akute Promyelozytenleukämie (APL) ein, deren Prognose mit einer Langzeit-Überlebensrate über 80% am höchsten unter allen AML-Erkrankungen ist, wenn die akute initiale Gerinnungsentgleisung und daraus resultierende lebensbedrohliche Komplikationen effektiv beherrscht werden können. Zur Diagnose und Therapie der APL wird auf die Onkopedia Akute Promyelozytäre Leukämie verwiesen. Von der AML abzugrenzen ist die bezüglich Prognose und Therapie verschiedene Blastische Plasmazytoide Dendritische Zellneoplasie, Onkopedia BPDCN.

5.5Differenzialdiagnose

Durch die Kombination aus Morphologie, Zytochemie, Immunphänotypisierung, Zyto- und Molekulargenetik ist die Diagnose „Akute myeloische Leukämie“ in der Regel zweifelsfrei zu stellen. In Tabelle 4 sind einige mögliche Differenzialdiagnosen und die entsprechende Diagnostik dargestellt.

Tabelle 4: Differenzialdiagnose bei Verdacht auf Akute Myeloische Leukämie 

Erkrankung

Untersuchungen

Akute lymphatische Leukämie

Knochenmarkzytochemie (Peroxidase- bzw. Esterasepositivität)

Immunphänotypisierung

Zyto- und Molekulargenetik

Akute Leukämie unklarer Linienzugehörigkeit

Knochenmarkzytochemie (Pox- bzw. Esterasepositivität)

Immunphänotypisierung

Zyto- und Molekulargenetik

Virusinfektionen (z. B. Parvovirus B19, EBV, CMV oder HIV)

Virusnachweis (PCR, Ag oder serologisch)

fehlender Nachweis von Blasten im PB oder KM-Immunphänotypisierung

Myelodysplastische Syndrome

< 20% Blasten im Knochenmark und/oder peripherem Blut

Zyto- und Molekulargenetik

Vitamin B12/Folsäure – Mangelanämie

Anamnese

Vitamin B12- und Folsäurespiegel

KM-Morphologie (Megaloblasten)

Aplastische Anämie

KM-Morphologie (Aplasie)

Zytogenetik

Leukämisch verlaufende Lymphome

fehlender Nachweis von myeloischen Blasten im PB oder KM

Immunphänotypisierung

ggf. löslicher Interleukin-2-Rezeptor

Myeloproliferative Syndrome

< 20% Blasten im KM (Ausnahme: Blastenkrise der CML)

häufig keine Anämie oder Thrombozytopenie

Zytogenetik (t(9;22))

Molekulargenetik (BCR-ABL, JAK2 Mutation, CALR Mutation, MPL Mutation)

6Therapie

6.1Therapiestruktur

Die Therapie der AML sollte an einem hämatologisch-onkologischen Zentrum und im Rahmen einer Therapiestudie durchgeführt werden. Seit den 1980er Jahren haben sich in Deutschland mehrere AML- Studiengruppen und multizentrische Studien formiert: AML-CG (https://www.kompetenznetz-leukaemie.de/content/studien/studiengruppen/amlcg_muenchen/kontakt/), AMLSG (https://www.amlsg.de/), OSHO (https://osho-studiengruppe.de/), SAL (https://www.sal-aml.org/).

Für Zentren, die nicht in eine AML-Studiengruppe integriert sind, wird eine Therapie in Anlehnung an ein gültiges Studienprotokoll empfohlen.

Unmittelbar bei Erstdiagnose muss die Entscheidung über die Dringlichkeit der Therapieeinleitung getroffen werden, siehe Abbildung 1.

Abbildung 1: Algorithmus für die Einleitung der Therapie 
kurativ intendierte Therapie; nicht-kurativ intendierte Therapie;
1 APL – Akute Promyelozytäre Leukämie
2 Leukostase oder Tumorlysesyndrom oder entgleiste Gerinnung
3 https://www.dgho.de/publikationen/schriftenreihen/junge-erwachsene/dgho_gpsr_xi_de_0971_web-1
4 Orientierung am ECOG Status und Komorbidität

Bei morphologischem Verdacht bzw. zytogenetischem (t(15;17)) oder molekularbiologischem (PML-RARA) Nachweis einer akuten Promyelozytenleukämie (APL, FAB M3) muss umgehend eine Therapie mit All-trans-Retinsäure (ATRA) eingeleitet werden, gefolgt von einer APL-spezifischen zytostatischen Therapie, siehe Onkopedia Akute Promyelozytäre Leukämie.

Da die umfangreiche Diagnostik inklusive genetischer Analyse die Grundlage der modernen subgruppen-spezifischen Therapie bildet, ist der Therapiebeginn erst nach Erhalt dieser Daten anzuraten [67], siehe Abbildung 2. Ein notfallmäßiger Start der intensiven Therapie sollte bei Patient*innen mit Zeichen eines Leukostasesyndroms mit oder ohne Hyperleukozytose und/oder Tumorlysesyndrom oder entgleister Gerinnung erfolgen.

Abbildung 2: Therapie – Algorithmus für die initiale Entscheidung bei Erstdiagnose 
kurative intendierte Therapie;
1 APL – Akute Promyelozytäre Leukämie ausgeschlossen
2 fit für intensive Therapie, Orientierung am ECOG Status und Komorbidität
3 siehe Tabelle 3 [27]
4 AML MRC – AML mit myelodysplastischen Veränderungen (Myelodysplasia – Related Changes), incl. MDS in der Vorgeschichte
5 t-AML – therapieassoziierte AML
6 7+3 – Therapieschema mit Ara-C an 7 Tagen, Daunorubicin an 3 Tagen
7 GO – Gemtuzumab Ozogamicin
8 7+3 – HDAC – hochdosiertes Ara-C; IDAC – intermediär dosiertes Ara-C;
9 geringes Rezidivrisiko: FLT3-ITDlow + NPM1mut ohne relevante MRD (messbare Resterkrankung, measurable residual disease) oder FLT3-TKD + NPM1mut ohne relevante MRD. Hohes Rezidivrisiko: FLT3-ITDlow+NPM1mut mit relevanter MRD oder FLT3-TKD+NPM1mut mit relevanter MRD oder FLT3-ITDhigh+NPM1mut oder FLT3-ITD+NPM1wt oder FLT3-TKD+NPM1wt
10 allo SZT – allogene Stammzelltransplantation
11 diese Empfehlung schließt biallelisch CEBPA-mutierte Patient*innen ein
12 nach Möglichkeit MRD-Monitoring

Allgemein gliedert sich die intensive kurativ intendierte Therapie der AML in die Induktionstherapie mit dem Ziel der kompletten Remission (CR) und die Postremissionstherapie zur Erhaltung der CR. Die Chance für das Erreichen einer CR nach intensiver Induktionstherapie wird vor allem durch den genetischen Hintergrund der AML und weniger durch das Alter der Patient*innen bestimmt [71]. Sie liegt bei Patient*innen mit günstigen zyto- bzw. molekulargenetischen Aberration (u.a. t(8;21), in(16), NPM1-mut, CEBPAdm) bei >80-90% gegenüber <30% bei Patient*innen mit ungünstigen Aberrationen (u.a. TP53 Mutation, monosomaler Karyotyp). Deshalb sind die zyto- und molekulargenetischen Befunde bereits unverzichtbar bei der Auswahl der initialen Therapie.

Durch den Einsatz neuer Therapeutika kann die CR-Rate z.T. auch bei für die intensive Chemotherapie nicht geeignete Patient*innen erhöht werden.

Generell weisen die Ergebnisse der randomisierten Studien zu den Substanzen Midostaurin, Gemtuzumab Ozogamicin und CPX-351 eine deutliche Prognoseverbesserung in bestimmten Patientengruppen nach. Da der Einsatz der Substanzen unmittelbar am Beginn der Standard-Induktionstherapie liegt (Midostaurin ab Tag 8, GO ab Tag 1) bzw. CPX-351 anstelle der Standard-Induktion mit DA/7+3 eingesetzt wird, ist angesichts des therapeutischen Vorteils für die betreffenden Patient*innen eine diagnostische Zuordnung zu den betreffenden Subgruppen vor Beginn der Induktionstherapie erforderlich. Konkret bedeutet dies, dass für die korrekte Zuordnung das Ergebnis der genetischen Analysen in Kombination mit den phänotypischen und morphologischen Befunden abgewartet werden muss, um die wichtige Zuordnung zur bestgeeigneten therapeutischen Subgruppe zu ermöglichen. Die durchflusszytometrische CD33-Bestimmung liefert innerhalb weniger Stunden ein Ergebnis; die Befunde zu Fusionstranskripten sowie Genmutationen sind innerhalb weniger Tage verfügbar (mittels molekularbiologischer Methoden und/oder FISH), während die klassische zytogenetische Chromosomenanalyse meist mindestens eine Woche Bearbeitungszeit benötigt.

Aus den Zeitangaben wird ersichtlich, dass die auf der speziellen Diagnostik basierende Behandlungsentscheidung einem therapeutischen Paradigmenwechsel gleichkommt, da bislang die unmittelbare Induktionseinleitung bei Diagnosestellung die therapeutische Maßgabe war [75]. Mittlerweile zeigen Ergebnisse zweier retrospektiver Analysen, dass die Prognose bei klinisch stabiler Situation nicht mit dem Zeitraum zwischen Diagnosestellung und Therapiebeginn assoziiert ist [767].

Ausgenommen von einer derartigen Empfehlung sind Patient*innen mit Zeichen eines Leukostasesyndroms mit oder ohne Hyperleukozytose und/oder Tumorlysesyndrom oder entgleister Gerinnung. Bei Vorliegen dieser Konstellation besteht ein unmittelbarer Behandlungsbedarf bei Diagnosestellung, da die genannten lebensbedrohlichen Zustände durch die AML verursacht werden und daher eine unmittelbare zytostatische Therapie indiziert ist. Die Therapie besteht dann in der Gabe von Hydroxyurea und gegebenenfalls Cytarabin, falls keine Symptomkontrolle erreicht werden kann. Es sollte beachtet werden, dass die effektive Therapie einer Hyperleukozytose (>50-100 Tsd/µl) eine Dosierung von Hydroxyurea von 4-5 g pro Tag erfordern kann. Cytarabin kann als Vorphase oder im Rahmen eines 7+3-Schemas verabreicht werden. Die Gabe der Anthrazkline sollte erst nach Abfall der Leukozytenzahl unter 30 Gpt/l begonnen werden, um die rheologischen Eigenschaften des Blutes nicht negativ zu beeinflussen [48]

Wurde bei Diagnosestellung ein abwartendes Vorgehen auf Grund einer klinisch stabilen Situation festgelegt und der Patient entwickelt vor Eingang der Befunde die o.g. lebensbedrohlichen klinischen Symptome, sollte die intensive Therapie auf der Basis der bislang vorliegenden Befunde festgelegt und sofort begonnen werden.

Eine weitere Spezialkonstellation bei Erstdiagnose ist der Verdacht auf das Vorliegen einer Akuten Promyelozytenleukämie (APL, FAB M3) bei suggestiver Morphologie und/oder Anzeichen für eine Gerinnungsaktivierung. Bereits bei klinischem Verdacht sollte noch vor Bestätigung einer entsprechenden genetischen Veränderung (t(15;17)/PML-RARA) die Therapie mit all-trans-Retinsäure begonnen und ggf. nach Ausschluss einer APL wieder beendet werden. Zur weiteren Therapie einer bestätigten APL siehe Onkopedia Akute Promyelozytenleukämie.

Älteren Patient*innen mit einem biologischen Alter jenseits 75 Jahren und/oder mit signifikanten Komorbiditäten sollte angesichts hoher Toxizität und Frühsterblichkeit bei einer Chance von nur etwa 10% auf eine Langzeitremission [38] keine intensive, kurativ intendierte Therapie angeboten werden. Ziel einer Therapie ist die Lebensverlängerung mit möglichst guter Lebensqualität. Die Grundlage bildet hierbei die supportive Therapie (Best Suppportive Care, BSC) unter Hinzunahme einer potentiell lebensverlängernden zytostatischen Behandlung, siehe Kapitel 6.1. 1. 3.

6.1.1Erstlinientherapie

6.1.1.1Intensiv behandelbare Patient*innen mit kurativer Therapie-Intention („fit“)

Dieser Gruppe werden Patient*innen zugeordnet, die ein biologisches Alter bis 75 Jahre haben, und keine oder wenige Komorbiditäten aufweisen.

Bei jungen Patient*innen mit Kinderwunsch bzw. noch nicht abgeschlossener Familienplanung soll je nach Dringlichkeit der Therapie die Möglichkeit fertilitätserhaltender Maßnahmen bedacht werden.

6.1.1.1.1Induktionstherapie
6.1.1.1.1.1 7+3

Diese Therapie kommt bei Patient*innen zum Einsatz, die keiner der folgenden Subgruppen zugeordnet können bzw. bei denen eine unmittelbare Therapie-Indikation bei Erstdiagnose besteht und die Ergebnisse der genetischen Diagnostik noch nicht vorliegen.

Die Standard-Induktionstherapie (3+7 Schema) beinhaltet die Kombination aus der dreitägigen Gabe eines Anthrazyklins/Anthracendions (z. B. Daunorubicin 60 mg/m², Idarubicin 10-12 mg/m², oder Mitoxantron 10-12 mg/m²) und 7 Tage Cytarabin (100-200 mg/m² kontinuierlich), siehe Anhang Therapieprotokolle.

Bei Einordnung in folgende Subgruppen wird ein alternatives Induktionsschema empfohlen:

  • Patient*innen mit CD33-positiver Core-Binding-Factor-AML (CBF-AML), Patient*innen mit CD33-positiver NPM1-Mutation bei FLT3wt und mit CD33-positiver AML und biallelischer CEBPA Mutation

  • Patient*innen mit FLT3-Mutation

  • Patient*innen mit AML-MRC und Patient*innen mit therapieassoziierter AML (tAML) bei FLT3wt

  • Patient*innen mit CD33-positiver Intermediär-Risiko-AML bei FLT3wt

6.1.1.1.1.2Patient*innen mit CD33-positiver Core-Binding-Factor-AML (CBF-AML), Patient*innen mit CD33-positiver NPM1-Mutation bei FLT3wt und Patient*innen mit CD33-positiver AML und biallelischer CEBPA Mutation

Für die Patient*innen dieser Subgruppe wird die Hinzunahme von Gemtuzumab Ozogamicin (GO) zum ersten Zyklus einer Standard-Induktionstherapie mit 7+3 empfohlen. Gemtuzumab-Ozogamicin (GO), ein Konjugat aus CD33-Antikörper und Zytotoxin Calicheamicin wurde auf der Basis der publizierten Studienergebnisse der französischen ALFA-0701-Studie und anderer randomisierter Studien sowie deren Meta-Analyse [3550] von der EMA im Jahr 2018 für die Primärtherapie in Kombination mit Standard-Chemotherapie auf der Basis der ALFA-0701-Studie zugelassen. Die CD33-Positivität ist eine in der Zulassung von GO verankerte Voraussetzung für den Einsatz dieser Substanz. Die Metaanalyse randomisierter Therapie-Interventionsstudien weist für die Patientengruppe der CBF-AMLs einen deutlichen Vorteil im Gesamtüberleben durch die Hinzunahme von GO zur Standard-Induktion mit DA aus (HR 0.5; 5-Jahres-Überleben 77,5% versus 55%) [35]. Der Vorteil scheint nicht durch eine Anhebung der CR-Raten [3573], sondern durch eine stärkere Reduktion der leukämischen Last bei CR-Patient*innen (tiefere Remission der CR bzw. höhere Remissionsqualität) und einem daraus resultierenden verringerten Rezidivrisiko zu entstehen [49].

In der randomisierten AMLSG 09-09-Studie wird dies auch für NPM1-mutierte Patient*innen gezeigt. Die CR-Raten waren mit und ohne GO ähnlich hoch, aber bei Patient*innen in CR war das rezidivfreie Überleben signifikant und klinisch relevant verlängert, was auf einer stärkeren Reduktion der MRD durch GO basiert [40]. Bei Patient*innen >70 Jahre war die Rate an Induktionstodesfällen erhöht, weshalb der primäre Endpunkt EFS durch GO nicht verbessert werden konnte. Die Ursache der erhöhten Frühmortalität wird in einer erhöhten Toxizität der Kombination durch die Hinzunahme von Etoposid zu 7+3/DA gesehen. In der ALFA-0701-Studie war die Frühmortalität nicht signifikant unterschiedlich, das obere Patientenalter wurde aber hier auf 70 Jahre begrenzt.

In der Zusammenschau der Daten wird GO bei NPM1-positiver AML auf Grund des deutlichen antileukämischen Effektes empfohlen, ein Einsatz bei Patient*innen über 70 Jahre sollte im Hinblick auf mögliche Toxizität abgewogen werden.

Die Mehrzahl der Patient*innen für die o.g. Meta-Analyse stammt aus den MRC-/NCRI-Studien AML15 und AML16 und erhielt GO in einer Dosierung von 3 mg/m2 als Einmalgabe. Auf der Basis der größeren Effektstärke für Rezidivrisiko, EFS/RFS und OS in der dreimaligen Applikation in der ALFA-Studie sowie den in der ALFA- und AMLSG-Studie nachgewiesenen stärkeren MRD-Reduktion durch GO wird die dreimalige Gabe zulassungskonform empfohlen. GO sollte laut Zulassung nur in der ersten, nicht einer möglichen zweiten Induktionstherapie verabreicht werden. Der Stellenwert von GO während der Konsolidierungstherapie ist weniger klar belegt [11], im Rahmen der Zulassung ist der Einsatz aber möglich, siehe Arzneimittel Bewertung Gemtuzumab Ozogamicin und Anhang Akute Myeloische Leukämie Zulassungsstatus.

6.1.1.1.1.3Patient*innen mit FLT3-Mutation

Patient*innen mit FLT3-ITD oder FLT3-TKD-Mutation sollten von Tag 8-21 der Induktionstherapie Midostaurin erhalten. Nach den Daten einer randomisiert-placebokontrollierten Studie kann Midostaurin in Kombination mit Standard-Chemotherapie bei FLT3-mutierten AML-Patient*innen bis 60 Jahre sowohl EFS, RFS als auch OS signifikant verlängern [80]. Auf der Basis dieser Studie wurde Midostaurin 2017 für die Kombination mit Standard-Induktionschemotherapie, Chemokonsolidierung und als Erhaltungstherapie für zwölf 28-Tage-Zyklen bei Patient*innen mit neudiagnostizierter FLT3-mutierter AML von der EMA zugelassen, siehe Arzneimittel Bewertung Midostaurin.

Abweichend vom Studienkollektiv (Alter 18-59 Jahre) wurde die Zulassung ohne obere Altersbeschränkung erteilt. Daten für Patient*innen im Alter zwischen 60 und 70 Jahre liegen aus einer Phase II Studie vor [74]. Bei Patient*innen, für die eine hämatopoetische Stammzelltransplantation geplant ist, sollte Midostaurin 48 Stunden vor der Konditionierungstherapie abgesetzt werden. Bei gleichzeitiger Anwendung mit starken Inhibitoren von CYP3A4 (z.B. Ketoconazol, Posaconazol, Voriconazol, Ritonavir oder Clarithromycin) soll wegen der Gefahr von Midostaurin-Spiegelerhöhungen auf Toxizitäten insbesondere bei Patient*innen im Alter >60 Jahre verstärkt geachtet werden [74]. Starke CYP3A4-Induktoren (z.B. Carbamazepin, Rifampicin, Enzalutamid, Phenytoin, Johanniskraut) sollen wegen der Spiegelabsenkung von Midostaurin nicht gleichzeitig gegeben werden.

6.1.1.1.1.4Patient*innen mit AML-MRC und Patient*innen mit therapieassoziierter AML (tAML)

Für diese Subgruppe ist der Einsatz von CPX-351 (eine liposomale Formulierung von Cytarabin und Daunorubicin in fixem molarem Verhältnis) als Ersatz für die klassische Kombination aus Cytarabin und Anthracyclin in der Induktionstherapie zugelassen. Die Zulassung basiert auf einem signifikanten Überlebensvorteil von 9,6 Monaten gegenüber 5,9 Monaten nach 7+3 in der randomisierten Zulassungsstudie (HR 0,69) [51]. Die eingeschlossenen Patient*innen waren im Alter zwischen 60 - 75 und den folgenden verschiedenen Subgruppen zugehörig.

  • Vorangegangenes MDS (47%) oder CMML (7.5%)

  • de-novo AML mit MDS-Karyotyp (25%)

  • tAML (20%)

Abweichend vom Studienkollektiv wurde die Zulassung für Patient*innen mit AML-MRC (inklusive Patient*innen mit multilineärer Dysplasie) und tAML und für alle Altersgruppen ≥18 Jahre erteilt. Auf Grund der fehlenden Evidenz für jüngere Patientengruppen und angesichts retrospektiver Real-World-Daten unter Einschluss jüngerer Patient*innen, die keine Überlegenheit von CPX-351-basierter Induktion gegenüber intensiver Standard-Chemotherapie zeigen, wird die Anwendung nur bei Patient*innen ab 60 Jahren empfohlen [614].

Es gilt zu beachten, dass die liposomale Formulierung mit einer höheren Knochenmarktoxizität einhergeht, die sich in einer ca. 7 Tage verlängerten, posttherapeutischen Zytopeniephase manifestiert. Diese führte nicht zu einer Zunahme von infektiösen Komplikationen, aber zu 15% mehr Blutungen im CPX-351-Arm. Innerhalb der Studienpatient*innen war der Überlebensvorteil durch den Einsatz von CPX-351 bei mit konsolidierender allogener Stammzelltransplantation am größten [51], siehe Anhang Akute Myeloische Leukämie – Zulassungsstatus, siehe Kapitel 6.1.1.1.1 und Arzneimittel Daunorubicin Cytarabin

6.1.1.1.1.5Patient*innen mit CD33-positiver Intermediär-Risiko-AML bei FLT3wt

Für Patient*innen mit intermediärem zytogenetischen Risiko wies die Metaanalyse zur Wirkung von GO in Kombination mit Standard-Chemotherapie ebenfalls einen Überlebensvorteil nach, wobei NPM1-mutierte Patient*innen in der intermediären Risikogruppe enthalten waren. Die CR-Rate wurde durch GO nicht signifikant angehoben (OR 0,91), das Gesamtüberleben aber verlängert; die korrespondierende Hazard Ratio lag bei 0,85. Die entsprechende 15%ige Risikoreduktion bzw. Erhöhung des 5-Jahres-Überlebens von 35,5% auf 40,7% fällt damit deutlich geringer aus als für Patient*innen mit günstiger genetischer Konstellation (s.o.). In der Gesamtschau der Daten wird GO daher in dieser Patientengruppe als optional empfohlen.

6.1.1.1.1.6Patient*innen ohne Zuordnung zu den genannten Subgruppen

Patient*innen, die gemäß vorliegender spezifischer Diagnostik keiner der genannten Subgruppen zugeordnet werden können bzw. bei denen ein unmittelbarer Therapiestart bei Erstdiagnose notwendig ist und die Ergebnisse der genetischen Diagnostik noch nicht vorliegen, erhalten die Standard-Induktionstherapie mit 7+3.

Patient*innen, die nicht auf einen oder zwei Induktionstherapiezyklen ansprechen, gelten als primär refraktär und werden mit einer Salvage-Chemotherapie weiterbehandelt, siehe Kapitel 6. 1. 2.

6.1.1.1.2Postremissionstherapie

Patient*innen, die eine CR erreichen, benötigen eine Konsolidierungstherapie, da ansonsten ein schnelles Rezidiv der AML zu erwarten ist. Die Konsolidierungstherapie kann grundsätzlich mit höherdosiertem Cytarabin oder einer allogenen Blutstammzelltransplantation erfolgen. Die Wahl der Konsolidierungstherapie orientiert sich am Risikoprofil bzw. der entsprechenden Subgruppe der AML und dem Allgemeinzustand des Patient*innen.

Hochdosiertes Cytarabin (HDAC) geht gegenüber intermediär-dosiertem Cytarabin (IDAC) mit einem signifikant verlängerten RFS in der Gruppe der CBF-AMLs einher, während es bei intermediärem und ungünstigem zytogenetischen Risiko gegenüber IDAC keinen RFS-Vorteil bringt und generell keinen Unterschied im OS macht [55].

Die myeloablative Hochdosischemotherapie mit autologer Transplantation weist eine ähnlich niedrige therapieassoziierte Mortalität wie höherdosiertes Cytarabin auf und wird vereinzelt als alternative Konsolidierungsoption eingesetzt. Das Rezidivrisiko ist gegenüber der allogenen Transplantation jedoch deutlich erhöht, eine Überlegenheit im Gesamtüberleben gegenüber höherdosiertem Cytarabin konnte bislang nicht gezeigt werden. Allerdings scheint dieses Therapieprinzip vor allem bei Niedrigrisiko-Patient*innen (CEBPAdm, CBF-AML) einen Stellenwert zu besitzen [72].

6.1.1.1.2.1Patient*innen mit CD33-positiver Core-Binding-Factor-AML (CBF-AML) und Patient*innen mit CD33-positiver NPM1-Mutation bei FLT3wt

Das Rezidivrisiko dieser Subgruppen ist mit 20-40% vergleichsweise gering [1570], so dass die Postremissionstherapie mit hochdosiertem Cytarabin zu einem relativ hohen Anteil von Langzeitremissionen führt. Außerhalb von Studien sollten Patient*innen mit zytogenetisch günstigem Risiko, d.h. t(8;21) oder inv(16) daher eine Chemokonsolidierung mit hochdosiertem Cytarabin (HDAC) erhalten, da für sie auf diese Weise mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Langzeitremission erreicht werden kann [46], siehe Anhang Akute Myeloische Leukämie Therapieprotokolle. Dies gilt auch für Patient*innen mit AML und normalem Karyotyp sowie NPM1-Mutation ohne begleitende FLT3-ITD-Mutation [27]. Die Erkrankung dieser Patient*innen kann durch Messung der minimalen/messbaren Resterkrankung (MRD) anhand von mutiertem NPM1 überwacht [77] und bei molekularem Rezidiv oder molekularer Persistenz einem Salvage-Konzept, wenn möglich unter Einbeziehung einer allogenen Stammzelltransplantation, zugeführt werden.

Eine mögliche Standardchemotherapie für jüngere Patient*innen außerhalb von Studien stellt das adaptierte CALGB Protokoll [56] mit hoher Cytarabindosierung von 3 g/m2 zweimal täglich an 3 Tagen dar, siehe Anhang Therapieprotokolle. Da Cytarabin in der älteren Patientengruppe mit einer hohen Toxizität einhergeht, kommt zur besseren Verträglichkeit bei älteren Patient*innen intermediär dosiertes Cytarabin zum Einsatz, siehe Anhang Therapieprotokolle.

Der Stellenwert von GO in der Postremissionstherapie ist unklar, da in randomisierten Studien GO entweder nur in der Induktion eingesetzt wurde oder alle Patient*innen, die während der Induktion GO erhielten, auch in der Postremissionstherapie damit behandelt wurden; der Zulassungsstatus enthält die Gabe von GO in zwei Postremissionstherapien. In zwei randomisierten Studien konnte kein Vorteil von GO in der Postremissionstherapie gezeigt werden [74].

Für Patient*innen mit FLT3-ITDlow und NPM1-Mutation kann in die Entscheidung zur Postremissionstherapie der MRD-Status zum Zeitpunkt der ersten CR nach Induktionstherapie einbezogen werden. Die prognostische Relevanz von NPM1-MRD-Schwellenwerten von 1-2% ist lediglich nach Ende der Konsolidierungstherapie belegt [4677]. Eine Anwendung nach Induktionstherapie birgt das Risiko, eine zu hohe Zahl von Patient*innen als prognostisch ungünstig einzuschätzen und allogen zu transplantieren. Da für die prognostische Wertigkeit durchflusszytometrischer MRD-Messmethoden und NGS-basierter Ansätze keine standardisierten einheitlichen Schwellenwerte vorliegen, bezieht sich die Leitlinie durch die Formulierung „relevante MRD“ auf die lokalen laborbezogenen Grenzwerte und ihre Interpretation.

Demzufolge können Patient*innen ohne relevante MRD in CR1 nach intensiver Induktionstherapie eine Cytarabin-basierte Chemokonsolidierung mit Midostaurin erhalten, während für Patient*innen mit relevanter MRD eine allogene Blutstammzelltransplantation angestrebt werden sollte.

Auf Grund fehlender Daten zur Wirksamkeit und des geringen Rückfallrisikos der CBF-AMLs wird eine Erhaltungstherapie mit oralem Azacitidin (CC-486) in dieser Patientengruppe nicht empfohlen.

Bei NPM1-mutierter AML ist die Erhaltungstherapie mit oralem Azacitidin (CC-486) wirksam und führte laut Subgruppenanalysen der Zulassungsstudie bei MRD-negativen Patient*innen zu einer Verlängerung des medianen Gesamtüberlebens von 26,2 auf 48,6 Monate und bei MRD-positiven Patient*innen von 10,3 auf 39,4 Monate [29]. Auf Grund dieser Daten wird für Patient*innen, die sich bereits in der Primärtherapie nicht für eine allogene Transplantation eignen oder sie auch im Rezidivfall ablehnen würden, eine Erhaltungstherapie mit oralem Azacitidin empfohlen. Alle übrigen Patient*innen mit NPM1-mutierter AML und der Option einer allogenen SZT im Rezidiv sollten anstelle einer CC-486-Erhaltung ein engmaschiges NPM1-Monitoring erhalten, um im Falle eines molekularen Rezidivs zeitnah eine allogene SZT zu erhalten [5].

6.1.1.1.2.2Patient*innen mit FLT3-Mutation - Konsolidierung

Für Patient*innen mit FLT3-ITD oder FLT3-TKD-Mutation und Cytarabin-basierter Chemokonsolidierung sollen von Tag 8-21 der Konsolidierungstherapie Midostaurin erhalten, wenn in der Induktion Midostaurin eingesetzt wurde.

Für eine Erhaltungstherapie nach Abschluss der Chemokonsolidierung stehen zwei zugelassene Optionen zur Verfügung: Midostaurin und orales Azacitidin (CC-486), In der Zulassungsstudie für Midostaurin wurde eine Midostaurin-Erhaltung nur bei Patient*innen eingesetzt, die bereits in der Induktion und Konsolidierung Midostaurin erhalten hatten, d.h. nach Abschluss der Chemotherapie wurde nicht erneut randomisiert. Eine Landmark-Analyse ab dem Zeitpunkt der Erhaltung konnte keinen signifikanten Effekt der Midostaurin-Erhaltung auf krankheitsfreies oder Gesamtüberleben nachweisen [52]. In der Zulassungsstudie für orales Azacitidin wurden Patient*innen zu Beginn der Erhaltungstherapie randomisiert mit Placebo oder oralem Azacitidin behandelt. Die FLT3-mutierte Subgruppe war mit 63 Patient*innen klein. Durch die Erhaltung mit CC-486 konnte das mediane rezidivfreie Überleben von 4,6 auf 23,6 Monate signifikant verlängert werden, während das mediane Gesamtüberleben nichtsignifikant von 9,7 auf 28,2 Monate verlängert wurde [28]. Es gilt einschränkend zu beachten, dass die Daten zur Wirksamkeit von CC-486 an einem Kollektiv älterer Patient*innen ab 55 Jahren erhoben wurde, während die Midostaurin-Daten von Patient*innen zwischen 18 und 60 Jahren stammen.

Auf der Basis dieser Daten wird bei Patient*innen ohne Transplantationsoption nach Abschluss der Chemokonsolidierung eine Erhaltungstherapie mit oralem Azacitidin bis zum Krankheitsprogress oder bei Kontraindikationen oder Unverträglichkeit alternativ mit Midostaurin für 12 Zyklen über jeweils 28 Tage empfohlen.

Für Patient*innen mit der Option einer allogenen Transplantation gilt, dass trotz allogener Stammzelltransplantation das Rezidivrisiko bei FLT3-ITD-AML erhöht ist. In der randomisierten Placebo-kontrollierten SORMAIN-Studien konnte bei FLT3-ITD-positiven Patient*innen, die in erster CR allogen stammzelltransplantiert wurden, durch eine Erhaltungstherapie mit Sorafenib das Risiko für Rezidiv oder Tod signifikant um 61% reduziert und das Gesamtüberleben verlängert werden (HR 0,52) [9]. Weitere Publikationen belegen den signifikanten antileukämischen Effekt von Sorafenib nach allogener SZT [1387].

Obgleich die genannten Daten an Patient*innen ohne Midostaurin-Primärtherapie erhoben wurden, wird auf der Basis dieser Ergebnisse bei FLT3-ITD-Patient*innen nach allogener Transplantation außerhalb der Zulassung eine Sorafenib-Erhaltung über 2 Jahre, beginnend zwischen Tag +60 und +100 nach Transplantation, empfohlen. Auf Toxizitäten und ggf. Dosisreduktionen sollte geachtet werden.

Nichrandomisierte Daten legen nahe, dass auch andere FLT3-Inhibitoren nach allogener Stammzelltransplantation die Prognose günstig beeinflussen können.

6.1.1.1.2.3Patient*innen mit AML-MRC und Patient*innen mit therapieassoziierter AML (tAML) - Konsolidierung

Patient*innen mit AML-MRC haben ein hohes Rezidivrisiko, weshalb bei geeigneten Patient*innen in Remission nach CPX-351 oder 7+3-Standard-Induktion und verfügbarem Spender die allogene Stammzelltransplantation als Postremissionstherapie empfohlen wird. Bei fehlender Transplantationsoption steht CPX-351 auch für die Konsolidierung zur Verfügung, allerdings ist sein Stellenwert in der Zulassungsstudie nicht gegen den üblichen Standard Hochdosis-Cytarabin, sondern gegen das in der Konsolidierung unübliche 7+3 verglichen worden [51]. Für Patient*innen ohne Transplantationsoption wird nach einer Chemokonsolidierung eine Erhaltungstherapie mit oralem Azacitidin empfohlen.

Die Prognose von Patient*innen mit t(AML) richtet sich nach dem genetischen Profil, so dass die beste Postremissionstherapie entsprechend der Eingruppierung in die ELN-Risikostrata ausgewählt werden sollte.

6.1.1.1.2.4Patient*innen mit intermediärer oder ungünstiger Prognose

Auf Grund des relevanten Rückfallrisikos wird für beide Subgruppen eine allogene SZT als Postremissionstherapie empfohlen, wenn der Patient dazu geeignet ist und ein geeigneter Spender zur Verfügung steht [315]. Da die Transplantationsergebnisse vom Krankheitsrisiko, dem Transplantationsrisiko und von Begleiterkrankungen abhängen, sollten diese Patient*innen, auch bei reduziertem AZ oder Begleiterkrankungen frühzeitig an einem Transplantationszentrum vorgestellt werden, um diese Indikationsstellung gemeinsam mit dem Transplantationsteam vornehmen zu können.

Auch bei Patient*innen mit intermediärem zytogenetischem Risiko sollte außerhalb von Studien bei Vorhandensein eines HLA-identischen Geschwister- oder HLA-identischen Fremdspenders eine allogene SZT angestrebt werden. Alternativ ist bei geeigneten Patient*innen ohne HLA-identischen Spender auch eine allogene Stammzelltransplantation mit einem HLA-haploidentischen familiären Spender zu erwägen, siehe Onkopedia allogene Stammzelltransplantation – Indikationen.

Bei älteren fitten Patient*innen ohne t(8;21) oder inv(16), die nach Induktionstherapie eine CR erreicht haben, sollte nach Möglichkeit eine allogene SZT nach dosisreduzierter Konditionierung angestrebt werden [59], da hierbei Langzeitremissionen um 30% erreicht werden können, selbst bei Vorliegen eines Mismatches [69]. Dies gilt auch für Patient*innen, die bei Erstdiagnose auf Grund einer leukämiebedingten körperlichen Beeinträchtigung für eine intensive Induktion nicht geeignet und mit hypomethylierenden Substanzen, niedrigdosiertem Cytarabin und Venetoclax erfolgreich behandelt worden sind und in Remission einen körperlichen Zustand erreicht haben, der eine SZT ermöglicht.

Patient*innen ohne Spender, mit signifikanten Komorbiditäten oder schlechtem klinischem Zustand sollen, wenn möglich, eine Chemokonsolidierung mit 2-3 Zyklen intermediärdosiertem Cytarabin erhalten [56]. Für diese Patient*innen wird nach Chemokonsolidierung eine Erhaltungstherapie mit oralem Azacitidin empfohlen. Datengrundlage sind die Ergebnisse der randomisierten Zulassungsstudie QUAZAR. Ältere Patient*innen ≥55 Jahre mit intermediärem oder ungünstigem genetischem Risiko mit CR/CRi nach intensiver Induktionstherapie mit oder ohne vorherige Konsolidierungstherapie, die sich aber für eine allogene Stammzelltransplantation nicht eigneten, wurden mit der oralen Azacitidin-Formulierung CC-486 versus Placebo bis zum Krankheitsprogress, Tod oder intolerabler Toxizität behandelt. CC-486 führte zu einer signifikanten Verlängerung des medianen Gesamtüberlebens auf 24,7 Monate gegenüber 14,8 Monaten mit Placebo (HR 0,69; p=0,0009) [84]. Nach 3 Jahren lebten im CC-486-Arm noch 37,4% der Patient*innen, gegenüber 27,9% im Placebo-Arm [85].

6.1.1.2Ältere fitte Patient*innen

Dieser Altersgruppe werden Patient*innen zugeordnet, die ein biologisches Alter über 65 Jahre haben, und keine oder wenige Komorbiditäten aufweisen. Da sowohl Remissionsraten als auch Langzeitremissionen mit zunehmendem Alter abnehmen und gleichzeitig das Risiko therapieassoziierter Komplikationen steigt [365878] müssen Chancen und Risiken in der Altersgruppe besonders gründlich abgewogen und mit dem Patient*innen besprochen werden. Dabei kann eine Abschätzung der individuellen CR-Wahrscheinlichkeit und des Frühmortalitätsrisikos anhand von Scores hilfreich sein, z.B. www.amlcompositemodel.org [47] und der genetischen Risikokonstellation [71]. Das Multistage Prediction Tool schließt neben klinischen Charakteristika auch genetische Informationen in die Risikoprädiktion mit ein und vergleicht das Outcome mit und ohne allogener Stammzelltransplantation (https://cancer.sanger.ac.uk/aml-multistage/).

Zur Einschätzung der optimalen Behandlungsstrategie sollen neudiagnostizierte AML-Patient*innen an einem erfahrenen Therapiezentrum vorgestellt werden.

Bei folgender Konstellation sollte eher eine palliative Therapie mit zytoreduktiver, ambulanter Chemotherapie (siehe Kapitel 6. 1. 1. 3) oder Best Supportive Care (BSC) erwogen werden, weil die zu erwartenden Komplikationen einer intensiven Therapie einen möglichen Nutzen übersteigen:

  • biologisches Alter >75 Jahre

  • Komorbiditäten

    • diabetisches Spätsyndrom

    • schwere Leber- oder Nierenerkrankungen

    • Herzinsuffizienz (EF <30%)

  • ECOG ≥3

  • geringe Heilungschancen, hohes Risiko für Frühsterblichkeit unter Induktion

Alle übrigen Patient*innen sollten für eine intensive kurativ intendierte Therapie evaluiert werden. Die Therapie unterscheidet sich nicht grundlegend von der Therapie jüngerer Patient*innen und wird im Kapitel 6.1.1.1 beschrieben. Modifikationen zwischen jüngeren (in der Regel bis zu einem biologischen Alter von 65 Jahren) und älteren fitten Patient*innen betreffen lediglich die fehlende Empfehlung zu einer Doppelinduktion (stattdessen Evaluation des Knochenmarks bei regeneriertem Blutbild nach einem Induktionszyklus) und die reduzierte Cytarabin-Dosis in der Konsolidierungstherapie, siehe Anhang Therapieprotokolle.

6.1.1.3Ältere Patient*innen ohne intensive Therapiemöglichkeit

Bei Patient*innen mit einem biologischen Alter über 75 Jahre oder mit signifikanten Komorbiditäten wie diabetischem Spätsyndrom, Leber- oder Nierenerkrankungen, Herzinsuffizienz (EF <30%), ECOG ≥3 oder geringen Heilungschancen auf Grund ungünstiger Zytogenetik (unfit, fragil oder frail) besteht das therapeutische Ziel in einer Lebensverlängerung bei möglichst hoher Lebensqualität [58]. Neben BSC soll diesen Patient*innen eine zytoreduktive ambulante Chemotherapie angeboten werden. Neben einer rein symptomatischen Gabe von Hydroxyurea zur Senkung der Leukozytenzahl werden die hypomethylierenden Substanzen (HMA) 5-Azacitidin und Decitabin empfohlen, da sie gegenüber dem historischen Standard von niedrigdosiertem Cytarabin höhere Ansprechraten und eine Überlebensverlängerung bewirken können [3039], siehe Anhang Therapieprotokolle.

Auf Grund des Wirkmechanismus der HMA kann es bei HMA-Monotherapie zu einem verzögerten Ansprechen kommen, so dass eine Wirksamkeitsbeurteilung erst nach 3-4 Monaten empfehlenswert ist [63]. Die Therapie sollte alle vier Wochen bis zum Progress verabreicht werden, da nach Absetzen rasch Rezidive auftreten [12]. Obwohl randomisierte Direktvergleiche der beiden Substanzen fehlen, kann ihre Wirksamkeit als gleichwertig gelten [88] Die Anwendung richtet sich damit auch nach praktischen Gesichtspunkten.

Die Kombination von 5-Azacitidin oder LDAC mit dem bcl2-Inhibitor Venetoclax führte in zwei randomisiert-plazebo-kontrollierten Studien zu einer deutlichen Zunahme der Remissionsraten (CR/CRi) von 28,3% auf 66,4% mit Azacitidin bzw. von 13% auf 48% mit LDAC. Venetoclax verlängerte das Gesamtüberleben in Kombination mit Azacitidin signifikant von 9,6 auf 14,7 Monate. Dieser positive Effekt konnte in allen genetischen Subgruppen nachgewiesen werden [2583]. Die im Rahmen der Kombinationsstudie mit Venetoclax und LDAC vordefinierte primäre Analyse des primären Endpunktes nach 12 Monaten medianer Nachbeobachtung ergab einen Überlebensunterschied von 7,2 versus 4,1 Monaten, der keine statistische Signifikanz erreichte. Erst nach weiteren 6 Monaten und einem Unterschied im Gesamtüberleben von 8,4 versus 4,1 wurde eine statistische Signifikanz erreicht. Auf der Basis der genannten Daten erteilte die EMA der Kombination aus LDAC plus Venetoclax keine Zulassung.

Die Zulassung für die Kombination aus Venetoclax mit einer hypomethylierenden Substanz wurde 2021 von der EMA erteilt. Auf Grund der Datenlage wird diese Kombination als Behandlungsstandard erster Priorität in der Erstlinientherapie nicht intensiv therapierbarer Patient*innen empfohlen. Für Azacitidin ist die Evidenz robuster, es kann aber von einer ähnlichen Wirksamkeit für Decitabin als Kombinationspartner ausgegangen werden [24].

Das klinische Management für die Kombinationstherapie mit Venetoclax unterscheidet sich gegenüber dem einer Monotherapie mit HMA deutlich:

Um das Risiko einer Tumorlyse zu reduzieren, sollte die Venetoclax-Kombination erst bei einer Leukozytenzahl unter 25.000/µl begonnen werden, eine Eindosierung über 4 Tage erfolgen und supportive Maßnahmen zur Vermeidung einer Tumorlyse ergriffen werden. Darüber hinaus sind Arzneimittelinteraktionen zu beachten. Empfohlen wird:

  • Zyklus 1 sollte unter stationären Bedingungen begonnen werden.

  • Bei Co-Medikation mit CYP3A-Inhibitoren muss die Venetoclax-Dosierung angepasst werden.

  • Die gegenüber der HMA-Monotherapie stärker ausgeprägte Zytopenie, verbunden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit infektiöser Komplikationen erfordert ein enges Monitoring mit einer Knochenmarkdiagnostik bereits nach Zyklus 1 (zwischen Tag 21 und 28) und zeitnahe Dosisanpassungen in Abhängigkeit vom Remissionsstatus und Blutbild. Nach Erreichen einer Blastenfreiheit kann bei verzögerter Regeneration G-CSF eingesetzt werden, wobei es keine sicheren Hinweise für Nutzen des Wachstumsfaktors gibt.

  • Dosisanpassung von Venetoclax bei gleichzeitiger Gabe von Ciprofloxacin oder Makroliden

  • Reduktion der Venetoclax-Dosis um 75% bei gleichzeitiger Gabe von Posaconazol.

Als weitere Option für die Kombination mit LDAC bei unfitten Patient*innen wurde im Juni 2020 der Hegdehog-Inhibitor Glasdegib zugelassen, der gegenüber einer LDAC-Monotherapie in einer randomisierten nicht Placebo-kontrollierten Studie zu einer Zunahme der CR/CRi-Raten von 5,3% auf 24,3% und zu einer medianen signifikanten Überlebensverlängerung von 4,3 auf 8,3 Monate führte [16]. Einen direkten Vergleich dieser Kombination zur Wirksamkeit von LDAC plus Venetoclax gibt es bislang nicht.

Bei Kontraindikationen gegen HMA oder bei progredienter Erkrankung kann alternativ niedrigdosiertes Cytarabin (LDAC) eingesetzt werden. LDAC hat in dieser Situation eine höhere Wirksamkeit als Hydroxyurea [10].

Zur Zusammenfassung der therapeutischen Optionen der Erstlinientherapie unfitter Patient*innen und ihrer Priorisierung siehe Abbildung 3.

Ein kleiner Teil von neudiagnostizierten Patient*innen kann durch leukämiebedingte Organbeeinträchtigung (z.B. leukämische Infiltration der Leber), neutropene infektiöse Komplikationen oder B-Symptome so beeinträchtigt sein, dass bei Erstdiagnose eine intensive Therapie nicht möglich oder vertretbar ist. Durch eine erfolgreiche Behandlung der AML mit HMA oder LDAC, ggf. in Kombination mit Venetoclax kann sich der Zustand so verbessern, dass eine SZT möglich erscheint und erfolgreich durchgeführt werden kann.

Auf Grund der weitreichenden prognostischen Konsequenzen für oder gegen eine intensiv-kurativ intendierte oder palliative zytoreduktive Therapie sollen neudiagnostizierte AML-Patient*innen zur Einschätzung der optimalen Behandlungsstrategie an einem erfahrenen Therapiezentrum vorgestellt werden.

Abbildung 3: Therapie-Optionen für die Primärtherapie unfitter Patient*innen 
nicht kurative intendierte Therapie;
1 bei Kontraindikationen gegen Azacitidin kann Decitabin eingesetzt werden
2 HMA – hypomethylierende Substanzen
3 LDAC – niedrig dosiertes Ara-C;

6.1.2Rezidivtherapie

Bei fitten Patient*innen, die im Rezidiv mit kurativer Intention behandelt werden sollen, ist die allogene Stammzelltransplantation weiterhin das einzige Verfahren mit der Möglichkeit einer Langzeitremission. Sollte weder ein HLA identischer Familienspender noch ein Fremdspender vorhanden sein, kann auch auf alternative Spender, insbesondere HLA-haploidentische familiäre Spender zurückgegriffen werden, siehe Onkopedia Leitlinie Allogene Stammzelltransplantation Spenderauswahl.

Außerhalb von Studien gilt die Re-Induktion mit dem Ziel der Erlangung einer zweiten CR als beste Voraussetzung für eine Langzeitremission nach allogener SZT. Es gibt keine prospektiven, kontrollierten Studien zur Überlegenheit einer definierten Therapiestrategie im Rezidiv der AML. Allgemeiner Konsens ist jedoch die Durchführung einer remissionsinduzierenden Reinduktionstherapie, die intermediär- oder hoch-dosiertes Cytarabin einschließt. Alternativ können Venetoclax-basierte oder GO-basierte Kombinationen erwogen werden [55]. Die Wirksamkeit einer direkten Transplantation ohne vorgeschaltete, potentiell komplikationsträchtige Rezidivchemotherapie wird als Alternativstrategie derzeit im Rahmen einer randomisierten Studie untersucht.

Mit Zulassung des Zweitgenerations-Typ-I-FLT3-Inhibitors Gilteritinib für die Monotherapie der rezidiviert/refraktären AML mit FLT3-Mutation eröffnet sich ein zusätzlicher dritter Weg zur allogenen SZT. In der 2:1 randomisiert-kontrollierten Zulassungsstudie wurden rezidiviert-refraktäre FLT3-mutierte AML-Patient*innen entweder mit einer vorbestimmten Standardtherapie (60,5% intensiv und 39,5% nicht-intensiv) versus Gilteritinib als orale Monotherapie behandelt. Die Remissionsrate lag im Gilteritinib-Arm höher (CR 21,1% versus 10,5%, CR/CRi 25,5% versus 11,3%, CR/CRh 34% versus 15.3%). Im Gilteritinib-Arm wurden 63/247 (25,5%) Patient*innen allogen stammzelltransplantiert, im Standard-Arm 19/124 (15,3%). Patient*innen im Gilteritinib-Arm konnten die Substanz nach allogener SZT als Erhaltungstherapie bis zum Progress erhalten. Unter Einbeziehung der allogen transplantierten Patient*innen betrug das mediane Gesamtüberleben im Gilteritinib-Arm 9,3 versus 5,6 Monate im Kontroll-Arm (HR 0,64; p<0,001); nach Zensierung der transplantierten Patient*innen zum Zeitpunkt der allogenen SZT betrug der Unterschied 8,3 versus 5,3 Monate (HR 0,58). Sowohl im Hinblick auf das Ansprechen als auch das mediane Gesamtüberleben waren die Ergebnisse von Gilteritinib denen einer intensiven Standard-Rezidivchemotherapie überlegen (CR 24,8% versus 16,0%, medianes Überleben 10,5 versus 6,9 Monate) [62]. Bei Patient*innen mit rezidivierter/refraktärer Erkrankung und FLT3-Mutation wird daher Gilteritinib als Rezidivtherapie der ersten Wahl empfohlen, auch wenn der Patient für eine intensive Salvage-Therapie geeignet und eine allogene SZT geplant ist. Bei Versagen von Gilteritinib kann eine intensive Standard-Salvage-Therapie erwogen werden.

Im Rezidiv nach allogener SZT kann bei chemosensitiver Erkrankung in Einzelfällen eine erneute SZT erwogen werden [31]. Die Gabe von Spenderlymphozyten (DLI) im Rezidiv geht mit einer ähnlichen Wirksamkeit einher wie eine mögliche zweite allogene SZT [43]. Die Kombination von DLI mit HMA kann die Wirksamkeit steigern [89].

Rezidivierte Patient*innen mit FLT3-Mutation, die für eine intensive Salvage-Therapie nicht geeignet sind, sollten mit Gilteritinib behandelt werden. FLT3-Wildtyp-Patient*innen, die bislang keine HMA erhalten haben („HMA-naiv“), können mit HMA behandelt werden.

Nach vorangegangener HMA-Therapie („HMA-Versagen“) ist das Ansprechen auf jegliche Salvage-Therapie gering und die Prognose mit einem medianen Gesamtüberleben von 3-4 Monaten kurz [5764]. Im Rezidiv nach HMA-Versagen sollten Patient*innen daher bevorzugt in klinischen Studien behandelt werden. Die Kombination von Venetoclax mit LDAC oder HMA (von der FDA für die Erstlinientherapie zugelassen) geht mit CR-Raten um 40% einher, allerdings sind die bisherigen Erfahrungen auf kleine Fallserien begrenzt [2665].

Bei 10-20% der AML-Patient*innen findet sich bei Erstdiagnose eine Mutation im IDH1- oder IDH2-Gen. Das Mutationsprodukt führt zur Reduktion von alpha-Keto-Glutarat zu 2-Hydroxy-Glutarat (2-HG). 2-HG fördert die Hypermethylierung des Genoms, führt dadurch zu einer Hemmung der Zelldifferenzierung und trägt damit zur Leukämieentstehung bei. Der durch die Hemmung des mutierten IDH erzielte antileukämische Effekt bildete die Grundlage für die Entwicklung der IDH-Inhibitoren Ivosidenib (IDH1) und Enasidenib (IDH2) [79]. Im Rezidiv ist im Falle einer vorliegenden IDH1-Mutation für Ivosidenib mit einer CR/CRi-Rate von 35% und einem medianen Gesamtüberleben von ca. 9 Monaten [23], bei IDH2-Mutation für Enasidenib mit CR/CRi-Raten von 27% und einem medianen Überleben ebenfalls um 9 Monate zu rechnen [79]. Auf der Basis dieser Daten aus nichtrandomisierten Studien erteilte die FDA 2017 dem Arzneimittel die Zulassung für die Therapie rezidivierter oder refraktärer AML mit nachgewiesener IDH1/2-Mutationen. Aufgrund eines fehlenden Überlebensvorteils in einer randomisierten Studie von Enasidenib gegenüber Azacitidin, LDAC, IDAC oder BSC in einem allerdings sehr problematischen Patientenkollektiv (Patient*innen >60 Jahre im 2. oder 3. Rezidiv) ist für die Monotherapie im Rezidiv für den Bereich der EMA nicht mit einer Zulassung zu rechnen. Anhang Akute Myeloische Leukämie - Zulassungsstatus.

GO ist in den USA auch als Monotherapie für CD33-positive AML-Rezidive zugelassen. Für die Monotherapie im ersten Rezidiv sind Remissionsraten um 30-40% beschrieben [6881]. Wegen des VOD-Risikos wird GO im Rezidiv nach allogener SZT nicht empfohlen [17]. Alternativ können bei HMA-Versagen klassische Zytostatika wie LDAC oder Melphalan eingesetzt werden.

Zur Zusammenfassung der therapeutischen Optionen im Rezidiv und ihrer Priorisierung siehe Abbildung 4.

Abbildung 4: Therapie-Algorithmus für die Rezidivtherapie 
kurative intendierte Therapie; nicht kurative intendierte Therapie;
1 SZT – Stammzelltransplantation
2 mut – mutiert; WT - Wildtyp intendierte Therapie;
3 Re-Induktion – erneute Induktion mit Zytostatika
4 HMA – hypomethylierende Substanzen
5 LDAC – niedrig dosiertes Ara-C
6 GO – Gemtuzumab Ozogamicin

6.1.3Supportive Therapie

Die Prognose neudiagnostizierter AML-Patient*innen hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert, vor allem in der jüngeren Patientenpopulation. Angesichts der marginalen Veränderungen bei der zytostatischen Therapie – die Kombination aus Cytarabin plus Anthrazyklin wird bereits seit den 70er Jahren verwendet, das 7+3-Schema stammt vom Beginn der 80er Jahre und die Hochdosis-Cytarabin-Konsolidierung aus der Mitte der 90er Jahre – ist diese Prognoseverbesserung in nicht unerheblichem Maß den Verbesserungen in der supportiven Therapie zu verdanken [59617682]. Wesentliche Bestandteile der supportiven Therapie sind Infektionsprophylaxe und –therapie immunsupprimierter und stammzelltransplantierter Patient*innen, Transfusionen, Antiemese und Therapie gastrointestinaler Komplikationen. Zur konkreten Umsetzung wird auf die separaten hierzu vorliegenden Leitlinien zur Supportivtherapie (https://www.onkopedia.com/onkopedia/guidelines) und die Anforderungen an die Hygiene immunsupprimierter Patient*innen des Robert-Koch-Instituts (http://www.rki.de/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Immunsuppr_Rili.html) verwiesen.

6.2 [Kapitel nicht relevant]

6.3Kinder und Jugendliche

6.3.1Grundlagen

Obwohl die Überlebenschancen für Kinder und Jugendliche mit einer AML in den letzten Jahrzehnten von einer fast immer tödlich verlaufenden Erkrankung auf heute mehr als 70% Überleben verbessert werden konnten, bleibt die AML eine der bedrohlichsten Diagnosen. Bei einer Inzidenz von 7 auf 1.000.000 Kinder erkranken jährlich in Deutschland etwa 100 bis 120 Kinder und Jugendliche [37].

Die Therapie der pädiatrischen AML wurde in den vergangenen 40 Jahren durch populationsbasierte Therapieoptimierungsstudien kontinuierlich weiterentwickelt. In Deutschland, Österreich, der Schweiz, Tschechien und der Slowakei erfolgte dieses durch die AML-BFM Studiengruppe. International haben verschiedene europäische (NOPHO, Skandinavien; AIOEP, Italien; LAME, Frankreich; MRC- Großbritannien), amerikanische (COG; St. Jude) oder auch die japanische Studiengruppe zur Weiterentwicklung der Therapie sowie zur Identifizierung prognostischer Faktoren beigetragen [19].

Nur bei einem kleinen Anteil der pädiatrischen AML liegt eine genetische Prädisposition der Kinder vor, hier sind vor allem die Trisomie 21 oder die Fanconi-Anämie zu nennen. Bei Kindern kann der Ursprung der leukämischen Entwicklung bereits pränatal beginnen [33]. In den Stoffwechselscreeningkarten von Neugeborenen konnten bereits leukämieassoziierte Aberration nachgewiesen werden [34].

Ein besonderes Modell ist die myeloische Leukämie bei Kindern mit Trisomie 21. Die Prädisposition führt zunächst intrauterin zu einer relativ gesteigerten Megakaryopoese (Trisomie 21 ~ 70% vs. Normale ~30%) in der fetalen Blutbildung. Während des 2. Trimenon werden dann vermehrt GATA1 (hämatopoetischer Transkriptionsfaktor) mutierte, megakaryoblastäre Klone nachweisbar, die offensichtlich im Zusammenhang mit weiteren Trisomie-21-bedingten Dispositionen bei den Feten in der Hämatopoese dominant werden können. Diese Proliferation wird dann bei 5-10% der Neugeborenen als transiente Leukämie (TL) diagnostiziert. Bislang ungeklärt sind Faktoren, die bei mehr als 20% der Kinder innerhalb der ersten 4 Lebensjahre zu einer Myeloischen Leukämie bei Down Syndrom (ML-DS) führen. Diese phänotypisch ebenfalls megakaryoblastäre Leukämie (AMKL) weist fast immer die identische GATA1-Mutation wie die TL auf [44]. Auch bei anderen Subgruppen könnte die Disposition, entweder durch neue Mutationen, Polymorphismen oder auch durch prädisponierende Keimbahnmutationen eine relevante Rolle spielen.

6.3.2Klinisches Bild

Die Symptomatik der AML bei Kindern und Jugendlichen ist unspezifisch und erklärt sich im Wesentlichen durch die Verdrängung der normalen Hämatopoese im Knochenmark oder direkt durch hohe Blastenkonzentrationen. Dabei fallen meist die anämiebedingte Blässe, vermehrte Hämatome und Petechien bei Thrombozytopenie oder Infektionen aufgrund der Neutro- und Lymphopenie auf. Bei hohen Blastenzahlen kann es zu Viskositätsproblemen, häufig beginnend mit pulmonalen Symptomen, oder zu schweren Blutungen bei Gerinnungsstörungen kommen.

Insbesondere bei monoblastären Leukämien können multiple Hautinfiltrationen sichtbar werden. Eine Hyperplasie der Gingiva sollte ebenfalls zur weiteren hämatologischen Diagnostik Anlass geben. Weitere extramedulläre Manifestationen können vor allem bei AML, die mit einer Translokation 8;21 assoziiert sind, als Raumforderung in der Orbita imponieren, aber auch als sogenanntes Myelosarkom oder Chlorom an jeder anderen Lokalisation.

6.3.3Diagnose

Die Diagnostik der AML erfolgt primär im Knochenmark, das heißt durch Analyse des Knochenmarkaspirats, siehe auch Tabelle 1. Bei AML mit assoziierter Myelofibrose, häufig bei AMKL, kann auch eine Knochenmarkbiopsie erforderlich sein. Bei sehr hohen Leukozytenzahlen mit hohem Blutungsrisiko erfolgt die Diagnostik zunächst aus dem peripheren Blut. Gleiches gilt für die initial obligatorische Lumbalpunktion zum Ausschluss oder Nachweis einer Beteiligung des Zentralen Nervensystems.

Trotz der Fortschritte der molekulargenetischen Methoden behält die primäre morphologische und immunphänotypische Beurteilung ihren hohen initialen Stellenwert, da sie eine schnelle Linienzuordnung als AML erlaubt. Besonders relevant ist sie aber auch zur sofortigen Identifikation einer akuten Promyeloblastenleukämie (APL, AML FAB M3) oder Monoblastenleukämie (hier vor allem in Abgrenzung zur ALL). Beide AML-Subtypen sind als Notfälle zu betrachten, die eine direkte Intervention benötigen.

Die APL hat unter Kindern mit mediterraner/asiatischer Herkunft eine deutliche höhere Häufigkeit als bei Nordeuropäern (>20% vs. 5%), siehe auch Onkopedia Akute Promyelozytäre Leukämie. Es sind häufiger ältere Kinder und Jugendliche betroffen. Aufgrund des sehr hohen Blutungsrisikos (u.a. fatale Hirnblutungen) in der Initialphase stellt die APL einen Notfall dar, vor allem wenn die Leukozytenzahl über 10.000/µl ist. Hier muss die sofortige Therapie mit der differenzierenden all-trans-Retinolsäure (ATRA) erfolgen.

Bei der Monoblastenleukämie und der häufig begleitenden Hyperleukozytose müssen schnelle Maßnahmen zur Hemmung der Proliferation (z.B. Cytarabintherapie) gemeinsam mit supportiver Therapie (Rasburicase, Hydrierung, Korrektur der Gerinnungsstörung) eingeleitet werden [2053].

6.3.4Prognostische Faktoren und Risikogruppen

International etabliert ist Stratifizierung in Risikogruppen als günstig, intermediär und ungünstig. Die aktuelle ELN-Klassifikation ist in Tabelle 4 zusammengefasst [4]. In den meisten Studiengruppen erfolgt die Zuteilung aufgrund genetischer Merkmale der leukämischen Blasten. Diese wird ergänzt durch die Bestimmung des Therapieansprechens mittels Morphologie und Immunphänotypisierung.

6.3.5Therapie

6.3.5.1Chemotherapie

Die Behandlung der AML beruht auf einer intensiven Polychemotherapie, deren wichtigsten Komponenten das Cytarabin und die Anthrazykline sind. Die Verbesserungen der letzten Jahrzehnte beruhten vor allem auf der Intensivierung der Behandlung in der Induktionsphase. Voraussetzung hierfür waren vor allem eine verbesserte Supportivtherapie, um die schweren Nebenwirkungen und hohe Infektionsfrequenz kontrollieren zu können, siehe auch Kapitel 6. 1. 3

Aufgrund der Kardiotoxizität der Anthrazykline wird in den AML-BFM Studien in Deutschland, Österreich, Tschechien, der Schweiz und der Slowakei eine liposomale Formulierung des Daunorubicin angewandt, wodurch eine Verringerung der herzschädigenden Wirkung erreicht werden soll [18].

Neben den beiden Substanzen kommen in der Therapie der AML als weitere Zytostatika das Etoposid, Mitoxantron oder Thioguanin zur Anwendung.

In den letzten Jahren wurden ergänzend weitere Substanzen in die Behandlung der pädiatrischen AML eingeführt, um eine zielgerichtete oder eine auf spezielle Mechanismen abzielende Therapie zu erreichen [6690]. Sowohl die amerikanische COG als auch die AML-BFM Studiengruppe empfiehlt bei AML mit einer FLT3-ITD die zusätzliche Gabe von Sorafenib im Intervall der Chemotherapieblöcke.

6.3.5.2Allogene Stammzelltransplantation

Neben der Chemotherapie kann nach Remission der AML auch eine allogene Stammzelltherapie erfolgen. Die Ergebnisse der allogenen Stammzelltransplantation konnten in den letzten Jahren deutlich verbessert werden. Trotzdem bleibt die SZT den Hochrisiko-AML vorbehalten [45].

6.3.5.3Rezidiv

Die Therapie des Rezidivs einer AML erfolgt mit einer erneuten Induktionstherapie. Die Internationale AML-Studiengruppe konnte dabei in einer weltweiten Studie in 20 Ländern und 200 Zentren Überlebensraten ab Rezidiv von 38% erreichen Dabei war in allen Fällen eine SZT in 2. Remission indiziert. CBL-AML hatten sogar Überlebensraten nach Rezidiv von ca. 60% [41]. Seit einiger Zeit werden alle Patient*innen mit einem quantifizierbaren genetischen Marker nach Remission kontinuierlich überwacht, um so frühzeitig ein molekulares Rezidiv (Anstieg >1 log-Stufe) zu erkennen. Da das molekulare Rezidiv unbehandelt immer ins offene Rezidiv mündet, untersuchen laufende Studien, ob eine frühe Intervention Therapietoxitizität vor der notwendigen Stammzelltransplantation einsparen kann.

6.3.5.4Myeloische Leukämie bei Trisomie 21

Kinder mit Trisomie 21 haben ein hohes Risiko, in den ersten 4 Lebensjahren eine AML mit der Mutation des GATA1 zu entwickeln siehe Kapitel 6. 3. 1. Im Gegensatz zu anderen AML, führte bei diesen Kindern aufgrund der gesteigerten Empfindlichkeit für Toxizitäten, eine Reduktion und Anpassung der Therapieintensität zu verbesserten Überlebensraten von etwa 90%.

6.3.5.5Akute Promyelozytäre Leukämie (APL)

Wenn die Initialphase mit dem sehr hohen Blutungsrisiko überstanden war, hatte die APL bereits in der Vergangenheit eine sehr gute Prognose [19]. Die aktuelle Empfehlung umfasst wie bei Erwachsenen die Kombination von ATRA und Arsentrioxid, siehe auch Onkopedia Akute Promyelozytäre Leukämie.

6.3.5.6Therapieassoziierte AML

Die AML ist das häufigste Zweitmalignom nach einer vorangegangenen Radio- oder Chemotherapie. Am häufigsten treten myelo-monoblastäre AML auf, meist assoziiert mit einer t(9;11). Insgesamt bleibt die Prognose der therapieasoziierten AML ungünstig. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass mit ein oder zwei Induktionsblöcken eine Remission oder zumindest eine Blastenfreiheit (morphologisch) erreicht werden sollte, um dann eine allogene SZT anzuschließen. Mit diesem Vorgehen einer begrenzten Chemotherapie, konnte zuletzt immerhin ein Überleben von 30-40 % erreicht werden kann.

6.3.6Spätfolgen

Schwere Spätfolgen bei Kindern und Jugendlichen mit AML manifestieren sich in Form von Zweitmalignomen, Kardiotoxizitäten und als Folgen einer Stammzelltransplantation als chronische GvHD. Die kumulative Zweitmalignomrate nach 20 Jahren beträgt etwa <2%. Insgesamt gibt aber etwa die Hälfte aller Langzeitüberlebenden chronische gesundheitliche Probleme an. Schwere, lebensbedrohliche Erkrankungen sind etwa 3mal so häufig wie in der Vergleichsbevölkerung. Eine späte Kardiotoxizität muss bei ca. 5% der Patient*innen erwartet werden, allerdings wird diese nur bei der Hälfte klinisch manifest. Schwierig sind aussagen zur Fertilität. Bei Mädchen, die nur Chemotherapie erhalten haben, zeigt sich bei 14% eine deutliche Verminderung des Anti-Müller-Hormons als Zeichen einer Beeinträchtigung der Fertilität [1854].

6.3.7Ausblick

Mit Ausnahme der APL konnten die neueren, molekular wirkenden Substanzen alleine bislang keine AML heilen. Nur in wenigen Fällen scheinen die Therapieergebnisse durch die Kombination mit der konventionellen Chemotherapie verbesserbar zu sein. Deshalb muss weiterhin die aktuelle Therapie optimiert werden. Das betrifft die Risikostratifizierung, Supportivtherapie und Chemotherapie bzw. Stammzelltransplantation.

Gleichzeitig muss die Forschung zu den Entstehungsmechanismen und gezielteren, nebenwirkungsärmeren Medikamenten oder alternative Optionen wie Immun- und Zelltherapien intensiviert werden, um zukünftig die AML bei allen Kindern und Jugendlichen heilbar zu machen.

7 [Kapitel nicht relevant]

8Verlaufskontrolle und Nachsorge

8.1Verlaufskontrolle

Während laufender Therapie wird eine Remissionskontrolle im Allgemeinen zu den folgenden Zeitpunkten durchgeführt:

  • zwei Wochen nach Beginn von Induktion I („Frühpunktion“)

  • nach Ende der Induktionstherapie bei regeneriertem Blutbild

  • vor Beginn jeder Konsolidierungstherapie

  • nach Ende der Postremissionstherapie

8.2Nachsorge

AML Patient*innen sollten klinisch und hämatologisch nachgesorgt werden, um ein Rezidiv möglichst frühzeitig zu entdecken. Dafür sind regelmäßige klinische Vorstellungen, sowie Blutbild- und Knochenmarkskontrollen notwendig. Bei klinischem Verdacht auf ein Rezidiv oder auffälligem Blutbild muss eine Knochenmarkuntersuchung erfolgen. Da der größte Teil der Rezidive innerhalb von 18-24 Monaten nach Erreichen der Remission auftritt, werden Blutbildkontrollen aller 1-3 Monate innerhalb der ersten zwei Jahre empfohlen, danach alle 3-6 Monate für die Jahre 3-5.

9Literatur

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10Aktive Studien

11Medikamentöse Tumortherapie – Protokolle

12Studienergebnisse

13Zulassungsstatus

15Anschriften der Experten

Prof. Dr. med. Francis Ayuketang Ayuk
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Klinik für Stammzelltransplantation
Martinistr. 52
20246 Hamburg
Prof. Dr. med. Jan Braess
Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Regensburg
Onkologisches Zentrum
Prüfeninger Str. 86
93049 Regensburg
Prof. Dr. med. Michael Heuser
Universitätsklinikum Halle (Saale)
Innere Medizin IV
Ernst-Grube-Str. 40
06120 Halle
Prof. Dr. med. Markus G. Manz
Universitätsspital Zürich
Zentrum für Hämatologie und Onkologie USZ
Rämistr. 100
CH-8091 Zürich
Prof. Dr. med. Jakob Passweg
Universitätsspital Basel
Hämatologie
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
Prof. Dr. med. Dirk Reinhardt
Universitätsklinikum Essen
Klinik für Kinderheilkunde III
Hufelandstr. 55
45122 Essen
Prof. Dr. med. Christoph Röllig
Universitätsklinikum Dresden
Medizinische Klinik und Poliklinik I
Fetscherstr. 74
01307 Dresden
Prof. Dr. Richard F. Schlenk
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)
Marsilius Arkaden
Turm West 9 Stock
Im Neuenheimer Feld 330.3
69120 Heidelberg
Prof. Dr. med. Armin Zebisch
Abteilung für Hämatologie und Otto Loewi Forschungszentrum
Medizinische Universität
Auenbruggerplatz 38
A-8036 Graz

16Offenlegung potentieller Interessenkonflikte

Autor*in Anstellung1 Beratung / Gutachten2 Aktien / Fonds3 Patent / Urheberrecht / Lizenz4 Honorare5 Finanzierung wissenschaftlicher Untersuchungen6 Andere finanzielle Beziehungen7 Persönliche Beziehung zu Vertretungsberechtigten8
Ayuk, Francis Ayuketang
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Ja
Berater der Firma BMS/Celgene bei der Einführung ihrer CAR-T Produkte in Deutschland. Honorare für Advisory Boards von: Mallinckrodt/Therakos, Celgene/BMS, Novartis, Janssen, Kite/Gilead, Takeda,
Nein
Nein
Ja
Honorare für Vorträge von: Mallinckrodt/Therakos, Celgene/BMS, Novartis, Janssen, Kite/Gilead, Takeda, Medac
Ja
Finanzierung einer Phase II klinischen Studie durch Mallinckrodt/Therakos
Nein
Nein
Braess, Jan
Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein
Heuser, Michael
Medizinische Hochschule Hannover
Ja
Abbvie, Agios, BMS, Daiichi Sankyo, Jazz Pharmaceuticals, Kura Oncology, Novartis, Pfizer, PinotBio, Roche, Tolremo.
Nein
Nein
Ja
Abbvie, Eurocept, Jazz Pharmaceuticals, Janssen, Novartis, Takeda.
Ja
Drittmittel an die Institution (MHH) im Rahmen von klinischen Studien oder anderen Projekten: Abbvie, Agios, Astellas, Bayer Pharma AG, BergenBio, Daiichi Sankyo, Jazz Pharmaceuticals, Loxo Oncology, Novartis, Pfizer, Roche.
Nein
Nein
Manz, Markus G.
Prof. Dr. med. Markus G. Manz Klinikdirektor Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie www.haematologie-onkologie.usz.ch Chair Comprehensive Cancer Center Zurich http://www.cancercenter.usz.ch/ Raemistrasse 100 CH-8091 Zürich Sekretariat Tel +41-44-255 3899 madeleine.pohl@usz.ch azra.softic@usz.ch
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein
Passweg, Jakob
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein
Reinhardt, Dirk
Uk Essen
Ja
MSD, Novartis, Immedica, Eusa, Medac,
Nein
Nein
Ja
Medac, Stem cells
Ja
Jazz, Roche
Nein
Nein
Röllig, Christoph
Medizinische Klinik und Poliklinik I Universitätsklinikum der TU Dresden Fetscherstr. 74, 01307 Dresden Deutschland
Ja
AbbVie, Amgen, Astellas, BMS, Celgene, Jazz, Novartis, Pfizer, Servier
Nein
Nein
Ja
AbbVie, Amgen, Astellas, BMS, Celgene, Jazz, Novartis, Pfizer
Ja
AbbVie, Novartis, Pfizer
Nein
Nein
Schlenk, Richard F.
Ja
Daiichi Sankyo, Pfizer, Jazz Pharma, Abbvie
Nein
Nein
Ja
Daiichi Sankyo,
Ja
Daiichi Sankyo, Pfizer, AstraZeneca, Roche, Boehringer Ingelheim, PharmaMar. Abbvie
Nein
Nein
Zebisch, Armin
Medizinische Universität Graz
Ja
Novartis, Abbvie, Celgene-BMS
Nein
Nein
Ja
Novartis
Nein
Nein
Nein
1 - Gegenwärtiger Arbeitgeber, relevante frühere Arbeitgeber der letzten 3 Jahre (Institution/Ort)
2 - Tätigkeit als Berater*in bzw. Gutachter*in oder bezahlte Mitarbeit in einem wissenschaftlichen Beirat / Advisory Board eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft (z. B. Arzneimittelindustrie, Medizinproduktindustrie), eines kommerziell orientierten Auftragsinstituts oder einer Versicherung
3 - Besitz von Geschäftsanteilen, Aktien, Fonds mit Beteiligung von Unternehmen der Gesundheitswirtschaft
4 - Betrifft Arzneimittel und Medizinprodukte
5 - Honorare für Vortrags- und Schulungstätigkeiten oder bezahlte Autor*innen oder Koautor*innenschaften im Auftrag eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft, eines kommerziell orientierten Auftragsinstituts oder einer Versicherung
6 - Finanzielle Zuwendungen (Drittmittel) für Forschungsvorhaben oder direkte Finanzierung von Mitarbeiter*innen der Einrichtung von Seiten eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft, eines kommerziell orientierten Auftrags-instituts oder einer Versicherung
7 - Andere finanzielle Beziehungen, z. B. Geschenke, Reisekostenerstattungen, oder andere Zahlungen über 100 Euro außerhalb von Forschungsprojekten, wenn sie von einer Körperschaft gezahlt wurden, die eine Investition im Gegenstand der Untersuchung, eine Lizenz oder ein sonstiges kommerzielles Interesse am Gegenstand der Untersuchung hat
8 - Persönliche Beziehung zu einem/einer Vertretungsberechtigten eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft

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Reference:

Quellenangabe:

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Kommentare

07.03.2023 15:00
Mathias Freund sagt
07.03.2023 15:00

Bei jungen Patient*innen mit Kinderwunsch bzw. noch nicht abgeschlossener Familienplanung soll je nach Dringlichkeit der Therapie die Möglichkeit fertilitätserhaltender Maßnahmen bedacht werden.

Es ist ehrenswert, dass diese Frage angesprochen wird, aber welche Maßnahmen kommen denn in Frage?? Spermienkonservierung sollte gut möglich sein, die jungen Männer denken an Kinder in jungen Jahren oft nicht - da ist also intensive Beratung angesagt. Für die Frauen ist das problematisch. Eizellkonservierung dürfte mit bis 2 Wochen zu lange dauern, Ovarialgewebekonservierung komplikationsbeladen und wegen Tumorzellinfiltration problematisch. Eine bedenkenswerte Alternative wäre eine Eizellkonservierung nach einer Doppelinduktion. Die Schäden an der Ovarialreserve wären wahrscheinlich noch nicht so ausgeprägt und das Fenster für die Stimulation stünde vielleicht zur Verfügung.

14.03.2023 11:47
Christoph Mußmann sagt
14.03.2023 11:47

Lieber Herr Freund, wir haben uns sehr über die kritische Durchsicht und die persönliche, begleitende E-Mail gefreut. Die Leitliniengruppe wird das Thema für die nächste Aktualisierung aufnehmen.

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