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Palliativmedizin

Stand April 2019
Dies ist die aktuell gültige Version des Dokuments

1Allgemeine Informationen

Insbesondere dann, wenn eine Krebserkrankung nicht mehr heilbar oder fortschreitend ist (in der Onkologie / Krebstherapie spricht man von einer „palliativen“ Erkrankungssituation), können Belastungen entstehen, die körperliche Symptome wie Schmerzen, Atemnot, Übelkeit u.a. umfassen, aber auch Sorgen, Ängste und andere Nöte zur Folge haben. Neben der Behandlung der Tumorerkrankung sind dann weitere Unterstützungsangebote oft hilfreich und erforderlich. Dieser Ansatz, erkrankungsbedingte Belastungen aller Art aushaltbarer zu machen, die dafür erforderlichen Menschen und Strukturen und das Unterstützungskonzept an sich wird als „Palliativmedizin“ oder „Palliativversorgung“ bezeichnet.

Diese Form der Unterstützung erfordert häufig den Einsatz vieler Menschen und Berufsgruppen zum Beispiel von Ärzten verschiedener Disziplinen (`Interdisziplinarität`), als auch Pflegekräfte, Psychoonkologen, Sozialdienstmitarbeiter, Physiotherapeuten, Seelsorger, u.v.m. (`Multiprofessionalität`). Zudem erfordern diese Situationen eine Rund-um-die-Uhr Erreichbarkeit nicht nur im Krankenhaus, sondern auch zuhause und neben einer telefonischen Beratung auch das konkrete Angebot von Hausbesuchen. Spezialisierte Teams und spezialisierte Einrichtungen der Palliativversorgung mit ihren zusätzlichen Kenntnissen und Möglichkeiten sind ergänzend zu den bereits beteiligten Ärzten und Diensten besonders dann hilfreich, wenn Belastungen vielschichtig (komplex) sind, die Expertise von vielen Berufsgruppen benötigt wird oder Hausbesuche auch nachts oder am Wochenende erforderlich sind. Diese Form der spezialisierten Palliativversorgung kann vorübergehend oder dauerhaft parallel zur onkologischen Behandlung einbezogen werden und wenn gewünscht in besonders komplexen Situationen auch die Behandlung übernehmen.

1.1Welche Einrichtung der Spezialisierten Palliativversorgung gibt es?

  • SAPV-Teams: Für die Unterstützung zuhause (oder in pflegerischen Einrichtungen) gibt es sogenannte SAPV-Teams (SAPV = Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung), die rund um die Uhr Beratung, therapeutische Kompetenzen und Hausbesuche anbieten.

  • Palliativdienste: In Krankenhäusern gibt es multiprofessionelle Palliativteams (sog. `Palliativdienste`), die besonders unterstützungsbedürftige Patienten mit ärztlichen, pflegerischen, sozialdienstlichen und psychoonkologischen Angeboten mitbetreuen, und Palliativmedizinische Ambulanzen, die für mobile Patienten vor allem beratend tätig sind.

  • Palliativstationen: sind Einrichtungen und Anlaufstellen für eine besonders umfassende, stationäre Behandlung, wenn Symptome und Belastungen anders (und anderswo) nicht ausreichend in den Griff zu bekommen sind – es handelt sich nicht um Einrichtungen, die nur für eine Behandlung am Lebensende zur Verfügung stünden.

  • Hospize: sind Pflegeeinrichtungen in denen Menschen am Lebensende von besonders qualifizierten multiprofessionellen Teams in wohnlicher Atmosphäre außerhalb eines Krankenhauses begleitet und versorgt werden. Die Zimmer der Gäste eines Hospizes sind oft so geräumig, dass Angehörige dort viel Zeit verbringen und auch übernachten können. Meistens bieten Hospizeinrichtungen mehr Raum für Individualität und Privatsphäre als Krankenhäuser. Engagierte Ehrenamtliche unterstützen zudem auf vielfältige Weise die Arbeit im Hospiz.

  • Ambulante Hospizdienste: Ehrenamtliche unterstützen durch ihre Mitarbeit in ambulanten Hospizdiensten Patienten und Angehörige zusätzlich zu den hauptamtlichen Behandlungsteams zu Hause, aber auch im Krankenhaus. Die Ehrenamtlichen sind speziell qualifiziert, bringen sich auf ganz unterschiedliche Weise ein und sorgen für eine persönliche Begleitung.

1.2Wann sollte palliativmedizinische Unterstützung einbezogen werden?

Mittlerweile konnte in vielen Untersuchungen gezeigt werden, dass diese Unterstützung umso wirksamer ist, je früher sie angeboten wird [123]. Zu Beginn einer unheilbaren Erkrankungssituation geht es zumeist um nicht mehr als um einen „Plan B“ für den Fall zu entwickeln, dass die Tumortherapie nicht mehr wirkt. Es kann erleichternd sein zu wissen, dass eine Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit bei Fragen und Problemen gegeben ist, gute Symptomlinderung möglich ist, bei Fragen zum Erkrankungsverlauf Unterstützung vorhanden ist, und eigene Wünsche und Sorgen mit Blick auf den weiteren Erkrankungsverlauf erfasst und Absprachen für den Krisenfall getroffen werden können. Daher sollte der Begriff der Palliativmedizin im Sinne von frühzeitiger, breit angelegter Unterstützung, und nicht nur im Sinne einer Behandlung ausschließlich am Lebensende bzw. Sterbebegleitung verstanden werden.

2Gut zu wissen

2.1Ist palliativmedizinische Unterstützung verordnungsfähig?

Hausärzte und behandelnde Fachärzte (z.B. Onkologen) können den Bedarf nach zusätzlicher Unterstützung einschätzen und die zuständigen kompetenten Palliativdienste und Einrichtungen einbeziehen und deren Mitwirken in der ambulanten Situation verordnen. Nach Genehmigung der Verordnung fallen für die Patienten keine zusätzlichen Kosten an.

2.2Wo finde ich palliativmedizinische Unterstützung?

Palliativmedizinische Unterstützung ist mittlerweile in ganz Deutschland mit ambulanten und stationären Einrichtungen verfügbar. Alle in Deutschland bestehenden spezialisierten Dienste und Palliativeinrichtungen finden Sie unter https://www.wegweiser-hospiz-palliativmedizin.de/.

2.3Was ist in der ambulanten palliativmedizinischen Versorgung möglich?

Mit der entsprechenden Unterstützung und Expertise lassen sich viele Dinge zuhause organisieren, die auf den ersten Blick kaum vorstellbar erscheinen: Ernährung und Flüssigkeitsgabe über die Vene (über Port; parenterale Ernährung), Fortführung einer Antibiotika-Therapie, kontinuierliche Schmerztherapie über patientengesteuerte Pumpen (PCA-Pumpe) u.v.m.. Daher ist es sinnvoll, eigene Wünsche an die häusliche Weiterbehandlung mit dem behandelnden Arzt anzusprechen und sich frühzeitig über die entsprechenden Möglichkeiten zu informieren.

2.4Gibt es auch für meine Angehörigen Unterstützungsangebote?

Auch für Angehörige bestehen diverse Unterstützungsangebote, sei es im Rahmen der sozialdienstlichen und sozialrechtlichen Beratung, der psychischen Unterstützung durch Psychoonkologen oder niedergelassene Psychotherapeuten, der Unterstützung durch ehrenamtliche Hospizhelfer (§39a SBG V), u.v.m.

3Tipps und Tricks

  • Einen „Plan B“ zu besprechen oder gar das Vorgehen im Falle denkbarer Probleme und Krisen festzulegen, ist für Patienten und für Angehörige, aber auch für alle therapeutisch tätigen Personen nicht leicht. Viele Studien und die Erfahrungen in der Onkologie und Palliativmedizin zeigen, dass nach der erforderlichen Überwindung nahezu immer eine Erleichterung mit Blick auf die Klärungen überwiegt. Diese Absprachen sind in den meisten Fällen der beste Weg dafür, dass ungewollte Verläufe und Maßnahmen unterbleiben und nur gewollte Maßnahmen stattfinden [4567]. Bitte sprechen Sie als Patient und Angehöriger Ihren Hausarzt und /oder Onkologen auf palliativmedizinische Unterstützung und erforderliche Absprachen in Eigeninitiative an, wenn dies von deren Seite trotz unheilbarer Erkrankungssituation noch nicht erfolgt ist [8].

  • Absprachen über das Vorgehen bei Problemen und Krisen können sinnvollerweise verschriftlicht werden durch sog. Patientenverfügungen. Diese sind umso hilfreicher für die behandelnden Ärzte, je konkreter sie sich auf die bei der Erkrankung denkbaren Entscheidungssituationen beziehen. Eine noch wichtigere Verschriftlichung stellt die sog. Vorsorgevollmacht dar. Dort wird eingetragen, welche Person den Patientenwillen in einer konkreten Entscheidungssituation rechtsgültig zum Ausdruck bringen soll, wenn ein Patient zum Beispiel bei hohem Fieber oder anderer Bewusstseinstrübung nicht ausreichend klar befragbar ist. Ein bundesweit häufig benutztes Formular finden Sie hier, https://www.justiz.bayern.de/service/juristisches-lexikon/. Für diese beiden Verschriftlichungen, Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht, ist keine notarielle Beglaubigung erforderlich. Sinnvollerweise sollte jedoch der behandelnde Hausarzt / Onkologe / Palliativarzt bei der Formulierung und Konkretisierung helfen. Für dieses Konzept der frühzeitigen Absprachen, basierend auf den Wertevorstelllungen der Patienten selbst, wurde der Begriff „Advance Care Planning“ geprägt.

4Weiterführende Links und Informationen

5Literaturverzeichnis

  1. Haun MW, Estel S, Rücker G et al.: Early palliative care for adults with advanced cancer. Cochrane Database Syst Rev 2017; 6:CD011129. DOI:10.1002/14651858.CD011129.pub2.

  2. Kavalieratos D, Corbelli J, Zhang D et al.: Association Between Palliative Care and Patient and Caregiver Outcomes: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA. 316: 2104-2114, 2016. DOI:10.1001/jama.2016.16840

  3. Gaertner J, Siemens W, Meerpohl JJ et al.: Effect of specialist palliative care services on quality of life in adults with advanced incurable illness in hospital, hospice, or community settings: systematic review and meta-analysis. BMJ 357: j2925, 2017. DOI:10.1136/bmj.j2925

  4. Mack JW, Cronin A, Keating NL et al.: Associations between end-of-life discussion characteristics and care received near death: a prospective cohort study. J Clin Oncol 30: 4387-4395, 2012. DOI:10.1200/JCO.2012.43.6055

  5. Mack J, Paulik ME, Viswanath K, Prigerson HG: Racial disparities in the outcomes of communication on medical care received near death. Arch Intern Med 170: 1533-1540, 2010. DOI:10.1001/archinternmed.2010.322

  6. Mack JW, Weeks JC, Wright AA, Block SD, Prigerson HG: End-of-life discussions, goal attainment, and distress at the end of life: predictors and outcomes of receipt of care consistent with preferences. J Clin Oncol 28: 1203-1208, 2010. DOI:10.1200/JCO.2009.25.4672

  7. Leitlinienprogramm Onkologie (Dt. Krebsgesellschaft, Dt. Krebshilfe, AWMF): Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung, Langversion 1.0, 2015, AWMF-Reg.Nr: 128/001OL, https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/palliativmedizin (Zugriff 10.02.2019)

  8. Keating NL, Landrum MB, Rogers SO Jr et al.: Physician Factors Associated With Discussions About End-of-Life Care. Cancer 116: 998-1006, 2010. DOI:10.1002/cncr.24761

6Gender

Zur besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Formulierungen verzichtet. Die in diesem Text verwendeten Genderbegriffe vertreten alle Geschlechtsformen.

7Anschriften der Experten

Prof. Dr. med. Bernd Alt-Epping
Universitätsklinikum Heidelberg
Klinik für Palliativmedizin
Im Neuenheimer Feld 305
69105 Heidelberg
Prof. Dr. med. Anne Flörcken
Charité, Campus Virchow-Klinikum
Medizinische Klinik mit Schwerpunkt
Hämatologie, Onkologie, Tumorimunologie
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Prof. Dr. med. Anne Letsch
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH)
Klinik für Innere Medizin II
Haus L
Arnold-Heller-Str. 3
24105 Kiel

8Erklärung zu möglichen Interessenkonflikten

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Reference:

Quellenangabe:

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